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Samstag, 7. Dezember 24

Bayreuth Baroque, die 6.

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Witzig – und ein wenig tragisch

TheaterWitzig – und ein wenig tragisch

Gelungen: Rossinis „Cenerentola“ am Staatstheater Nürnberg

Nikolaus Harnoncourt hat einmal sinngemäß gesagt, dass er niemals ein Werk von Rossini dirigieren würde, weil Rossini keinen einzigen menschenfreundlichen Takt geschrieben habe.

Ganz kann man dem großen Dirigenten nicht widersprechen. Hört man sich von Neuem die „Cenerentola“ an, gibt es tatsächlich nur wenige kurze Momente, in denen so etwas wie Trauer aufhorchen lässt – und doch lieben wir die Musik des Großmeisters der Komischen Oper, insbesondere dieses Werk, das gleichberechtigt neben dem „Barbier“ und der „Italienerin in Algier“ zu stehen vermag. Im Übrigen mag der Wunsch nach sog. „Tiefe“ typisch deutsch sein. Der Komponist Alfredo Casella hatte schon Recht, als er 1925 schrieb, dass der Mann aus Pesaro „kein so tiefer Geist wie Beethoven“ gewesen sei. „Aber da er berufen war, die Menschheit zum Lachen zu  bringen, warum fragen wir dann nach dem Unmöglichen?“

Wir finden den Satz im Programmheft der Inszenierung, die vom Nürnberger Schauspielchef Jan Philipp Gloger verantwortet wird. In einem ausführlichen, protokollierten Gespräch mit dem Dramaturgen Georg Holzer, der Sängerin der Titelpartie und Thomas Wedel, dem Leiter der Werkstatt für behinderte Menschen in Boxdorf, hat Gloger sein Regiekonzept erläutert, dass dem Stück einen Bereich zwischen Komödie und Tragödie einräumt. Es sind dies, kein Zufall, zwei Begriffe, die gleich zweimal im Libretto Jacopo Ferretos zitiert werden – und in wenigen Takten der Oper auch hörbar werden. Der Rest ist buntscheckig, schnell, brillant, eben Rossini at its best. Die Rossini-Walze, Ausdruck des Wahnsinns, der gelegentlich in den  Hirnen der Protagonisten zu scheppern beginnt, rollt über uns hinweg, die lyrischen Arien und Passagen schmeicheln den Ohren der Zuhörer, die meisterhafte lichte Klarheit des Rossinischen „Klassizismus“ wirkt direkt und subkutan auf alle Zuhörer ein, die sich einen schönen Abend machen wollen – und ihn bekommen. Denn Gloger und die „Schwarzen“ haben eine „Cenerentola“ erdacht, die das Stück vermenschlicht, ohne ins verlogene Pathos zu fallen, weil der Oper die Komik gelassen wird, mit der der witzige Librettist und der ebenso witzige Komponist die Geschichte vom Aschenputtel erzählt haben. Sie bringen also in Nürnberg, sagt Holzer, kein Märchen, sondern eine Gesellschaftskomödie auf die Bühne, in der die schrecklich nette Familie zum Fallbeispiel eines nicht dysfunktionalen, doch ein wenig aus den Fugen geratenen Patchwork-Verbands wird. Die Schwestern sind also nicht deshalb „böse“, weil sie märchengerecht „böse“ zu sein haben, sondern weil ein Wettbewerb den Papa, der das Erbe seiner ersten Tochter versoffen und zugunsten der Töchter aus seiner zweiten Ehe verprasst hat, den Vater und seine beiden Lieblingstöchter in die Gier nach Aufmerksamkeit jagt. Es steht übrigens alles genau so im sehr konzentrierten und glasklaren Libretto – wer es genau liest, bemerkt allerdings auch, dass die Figuren denn doch als Charaktere aufgefasst werden können: denn niemand ist in seinen Beweggründen und Handlungen so eindeutig, dass nicht eine gleichsam aktualisierende Motivation für sie gefunden werden kann, ja muss. In diesem Fall ist es eine „Hochzeitsshow im Nürnberger Staatstheater“ namens „Marry the Prince“, die im Stil bekannter TV-Formate den Wettbewerb um den „Traummann“ ausstellt. Es spricht nicht allein für Rossini und seinen Textdichter, dass die Übertragung bruchlos funktioniert, zumal Gloger und sein Team dem Affen Zucker geben. So vermittelt der Abend souverän zwischen Typen- und Charakterkomödie: hier die unterschiedlich gezeichneten, hysterischen Schwestern und die bescheidene Unschuld, dort der sehr lustige, dabei sehr ungerechte Papa und der Traummann (für Cenerentola und ihn ein coup de foudre), der um seiner selbst willen geliebt werden will. Übertragungen auf Modelle, die einem anderen Gesellschaftszeitalter angehören, sind immer gefährlich, aber da das Märchen in einem Raum der latenten Zeitlosigkeit zu spielen hat, funktioniert es mit der konkreten Interpretation erstaunlich gut. In diesem Fall ist die junge, von der eigenen Familie deklassierte Frau eine Behinderte, die zunächst, als Beinversehrte, auf dem Ball des Lebens „mittanzen“ will, bevor sie am Ende die Verantwortung für ihr eigenes Leben übernimmt und ihre Behinderung als Teil ihrer Existenz akzeptiert. Bildet der reine Text ein Unschuldswesen ab, das sich bis zuletzt in rührseligen Tugendbekundungen äußert, bezeugt die Gestik, dass das hinkende Mädchen mit der Gehhilfe, das sein Schicksal in die eigenen Hände nimmt, alles Andere als ein Dummerle ist. Schwebt sie am Ende des 1. Akts wie eine Erscheinung, sitzend in einem leuchtenden Herzen, aus dem Himmel des Schnürbodens auf den Spielplatz der Hochzeitsshow, hat sie spätestens jetzt unsere Herzen. Und wenn Corinna Scheurle, noch weit oben in der Luft sitzend, ihren schönen, im Dunklen betörenden und im Hellen erfreuenden Mezzo erklingen lässt, bewundert man sie schon aufgrund dieses mutigen Einsatzes. Dass sie im verrenkten, erotisch sein sollenden und bewusst blöden Girlie-Ballett der Gewittermusik nicht mittanzen darf und kann, ist nur zu ihrem Vorteil. Im Übrigen beharrt Gloger darauf, dass der Sprech von der einzigen Qualität des „Inneren“ verlogen ist – diese Cenerentola beweist, dass es eine Vereinbarung von edlem Inneren und schönem Äußeren auch im Fall einer Körperbehinderung geben kann. Es kommt wohl „nur“ darauf an, zu wissen, was man (und frau) vom Leben will – im Gegensatz zu den auch fremdbestimmten Schwestern und einem Vater, dessen Trunksucht ihn eben zu dem macht, der er ist. Die „Cenerentola“ aber strandet nicht im möglichen Sozialdrama. Humor und Charme führen schließlich zu einem lieto fine, aus dem die Schwestern und der Vater freilich ausgeschlossen werden, weil sie eben so sind, wie sie sind. Da kann selbst Alidoro, der Mann der Aufklärung, den Nikolai Karnolsky als liebenswürdigen „Penner“ spielt, nichts mehr ausrichten. Werden am Ende auch die durchaus zweifelhaften Werte der Show, die verdächtig nah an der Bachelor-Show ist, bestätigt, weil der Prinz seine Prinzessin bekommt und die Bürgerliche in den Himmel des Show-Establishments hochrückt, so lässt die Siegerin im Kampf der Herzen keinen Zweifel darüber aufkommen, wo die wahren Werte eines edlen Herzens liegen: „Ein Thron ist wenig in deinen Augen“, singt das Volk der abgeschlagenen Teilnehmer, als sich finalmente Boy and Girl sehr herzhaft küssen – eine Show, aber eine, die ahnen lässt, dass sie mehr als genau dies ist.

Das Publikum ist begeistert; Szenenapplaus prasselt, wo es nur geht.  Das Ganze, merkt man spätestens am Ende, ist Beides zugleich und doch etwas anders: sehr komisch und ein wenig tragisch, indem das Larmoyante unpathetisch in die Gegenwart gezogen werden konnte. Es stimmt schon, was Richard Osborne 1986 in seiner Rossini-Biographie geschrieben hat: „‘La Cenerentola‘ ist sicher die menschlichste aller großen Komödien Rossinis.“ Damit sie sichtbar wird, bedurfte es freilich, noch über die Musik hinaus, einer Inszeneriung, die es ernst meint mit dem Ernst und dem Spaß. In Nürnberg ist es höchst amüsant gelungen.

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