Das Buch zur wiedereröffneten Archäologischen Staatssammlung München
Erst vor wenigen Wochen wurde eine wertvolle Broschüre veröffentlicht, in der man die jüngsten archäologischen Funde, die in der Bayreuther Innenstadt gemacht wurden, präsentierte und einordnete (wir berichteten). Kurze Zeit später öffnete ein Museum nach jahrelanger Schließung und Neugestaltung von Neuem seine Pforten: die Archäologische Staatssammlung in München. Bravo! Denn das zentrale Museum für „Altertumskunde“, wie man zur Gründungszeit der Institution gesagt hätte, fehlte im bayerischen Verband der archäologischen Häuser – freilich konnte man in der Zwischenzeit, auch in Franken, mehrere Zweigmuseen des Münchner Zentrums besuchen.
Das Warten hat sich gelohnt, denn mit der Eröffnung, die am 17. April 2024 über die Bühne ging, wurde auch ein Buch veröffentlicht, das wesentlich mehr ist als ein neuer Katalog zur alten, nun neu sortierten und organisierten Sammlung. Die „Wege durch Bayerns Vergangenheit“ blättern das Geschichtsbuch der bayerischen Geschichte derart systematisch-strukturell auf, dass man im heimischen Lesesessel nicht allein auf ausgewählte Prunkstücke schauen kann, sondern einen Grundkurs in Sachen Geschichte, Mode, Wirtschaft und Ritus bekommt. Neun Themen binden die ausgewählten Funde und Orte in eine aufgefächerte Erzählung ein, in der die „Grundlagen des Lebens“, wie, natürlich, „Glaube und Religion“, die „Weltmacht Rom“ und das „Abenteuer Archäologie“ nebeneinander stehen, um ineinander zu greifen. Das Konzept gehorcht einem Muster, das 2019 in der Ausstellung „Bewegte Zeiten“ im Berliner Gropius-Bau zu einem unvergesslichen Höhepunkt kam – Kulturgeschichte, die sich auf archäologische Artefakte beruft, ist nun Menschengeschichte: in einem Ausmaß, wie es sich weder die Gründer des Museums vorstellen konnten noch bislang allzu häufig realisiert wurde. Herausragende Stücke bleiben herausragende Stücke, „im fokus“ präsentiert ausgewählte Kostbarkeiten (wie die fantastische Scheibenfibel von Unterhaching: ein Importprodukt ersten Ranges) und Themen der Sammlung im jeweiligen Großkapitel.
So macht der Band unmissverständlich klar, dass die auf dem Gebiet des heutigen Bayern vor sich gegangene Ur-, Vor- und Frühgeschichte (die in München übrigens, und auch dies ist seit einigen Jahren state of art, bis in die jüngste „Zeitgeschichte“ verlängert wird) zugleich besonders wie allgemein interessant ist. Gewiss: spektakuläre, dem Keltenfürstengrab von Hochdorf oder der Himmelsscheibe von Nebra vergleichbare Funde wird man hier nicht finden – spannende, auch künstlerisch anspruchsvolle Relikte allemal. Faszinierend bleibt die Beobachtung, dass die Handelsbeziehungen schon seit Tausenden von Jahren bis nach Serbien und Bulgarien, ins Baltikum und die Niederlande, nach Italien und Griechenland reichten. Es stimmt schon: historische Zustände sind gar nicht so fern, wie es die Chronologie suggeriert. Menschen aus entfernten Gegenden konnten hier leben, verheiratet werden und sterben, die Angst vor dem Krieg und dem Tod, vor Naturkatastrophen und Überfällen, war genauso groß wie heute. Kleidung war ein Mittel des Kulturkampfs, Migrationsbewegungen gab es schon immer, und Sklavenketten, die hier produziert wurden, um als „Exportschlager“ zur Keltenzeit südeuropäische Händler zu erfreuen, zeugen vom Heute im Damals. Die mittelalterliche Latrine, die sich einst auf dem Gelände des Marienhofs in München befand, zeugte übrigens noch bei ihrer Ausgrabung vor wenigen Jahren von ihrer ehemaligen Funktion.
All dieses reiche und bescheidene (Aschenurnen und Faustkeile waren, wenn auch bisweilen ästhetisch anspruchsvoll, Massenware), doch immer aussagekräftige Material aus Altbayern, Franken und Bayerisch-Schwaben zunächst zeitlaufmäßig, dann thematisch zu präsentieren, um die Sammlung didaktisch in die Gegenwart zu holen: es war eine gute Idee. Dazugepackt: Graphic novels, die das archäologische Material dramatisch bildhaft machen, ein ausgezeichnetes Literaturverzeichnis, ein Glossar (wer weiß schon, was eine Tüpfelplatte ist?), zuletzt ein Ortsregister mit Nennung der Regionsbezeichnung. Auch Oberfranken wurde da bedacht, denn der Staffelberg, die Ehrenbürg und die Heunischenburg gehören zu den in wahrstem Sinne herausragenden Befestigungsanlagen, die Franken zu bieten hat. Und das ganzseitige Foto des Staffelbergs auf Seite 69 ist so prachtvoll wie der Berg selbst.
Archäologische Staatssammlung. Wege durch Bayerns Vergangenheit. Hrg. von Rupert Gebhard. Vwerlag Friedrich Pustet. 2024. 160 Seiten, durchgehend z.T. farbig bebildert. 20 Euro.