Man muss sich ja, als gemeiner Musikfreund, schon darüber wundern und freuen, dass es so etwas Hyperexotisches überhaupt wieder gibt: ein Sinfoniekonzert eines Sinfonieorchesters einer Universität. Dass die vielen jungen Leute – das Orchester besitzt definitiv keine Kammerstärke – neben ihrem extrem verschulten Studium, das in den letzten beiden Jahren aus Gründen, die mir im Moment entfallen sind, sicher nicht einfacher geworden ist, dass die Musiker also in den Zeiten der totalen Ökonomisierung des Studiums nicht nur in ihre Digitalskripten und PCs schauen, sondern sich auch hinsetzen und in ihre Noten blicken, um die Violine, das Horn, die Pauke zu bedienen, ist, betrachten wir es vom Standpunkt eines Musikgläubigen aus, so etwas wie ein Wunder. Winterkonzert also, in der Kulturbühne Reichshof, die viel zu selten für derartige Ereignisse genutzt wird, auch wenn die Akustik für Unplugged Sinfonic Concertos denkbar schlecht, weil trocken ist. Doch der Raum an sich ist schön, gemütlich, anheimelnd, und dies nicht nur deshalb, weil ältere Kinobesucher sich noch daran erinnern mögen, wie einmal, kurz bevor der Film begann, eine Eisverkäuferin den Gang runterlief und herzhaft fragte: „Möchte jemand ‚nem Dino den Kopf abbeißen?“ Wann kam nochmal Jurassic Parc raus, bevor das gute alte Kino – Stil: 50er-60er – die Pforten für viel zu viele Jahre schloss, weil sich eine Erbengemeinschaft partout nicht darauf einigen konnte, was nun mit dem wertvollen Bau zu geschehen sei?
Dinos sind am Abend des 8. Februar 2022 nicht die Spieler, höchstens ein paar Besucher. Frage: Woran erkennt man ein Konzert eines Sinfonieorchesters einer Universität? Daran, dass Oma und Opa mit Rollkragenpullover (nichts gegen Omas, Opas und Rollkragenpullover!) mit geöffneten Bierflaschen im Parkett sitzen – und manchmal, wie gestern Abend, auch der Universitätspräsident und der OB von der Bühne aus begrüßt werden (natürlich der aktuelle, nicht die letzte). Man erkennt ein Konzert eines Sinfonieorchesters einer Universität auch daran, dass sich ein Rezensent tunlichst zurückhalten sollte, soweit es um so etwas wie Intonation geht. Stimmt der Rhythmus, wobei das Grundtempo oft, aber das ist jetzt auch schon wieder sehr akademisch, zu einem gefühlten Andante wird, so ist die Intonation zumal der Blechbläser – aber lassen wir das. Der GMD des Ensembles, Albert Hubert, von Haus aus Streicher, hat es immerhin geschafft, aus dem stets wechselnden Haufen, der aus dem Orchester ein Konzertinstitut in Dauermetamorphose macht, einen Klangkörper zu formen, der bisweilen angenehm aufhorchen lässt. Also hier meine persönlichen Klang-Lieblinge des Abends: Eine viersätzige Suite aus Schwanensee, beginnend mit dem Vorspiel (seidenweiche Unisono-Streicher), weitermachend mit dem Walzer, hinübergehend zu den vier kleinen Schwänen, dann hinein in den Soloviolinpart des Pas de deux, abschließend mit einem Tanz, den man für einen walachischen halten könnte, wüsste man nicht, dass es sich um den ungarischen handelt (war die Walachei nicht einmal ein Teil von Ungarn? Egal!). Moritz Heindl sitzt als Konzertmeister an der ersten Geige, er ist auch der Solist, der das Violinquartett in Vivaldis op. 3/10 anführt – und er führt es brillant an. Die erste, siebente und neunte Enigma-Variation – natürlich, Nimrod muss erklingen – kommen sehr schön, Waldteufels Schlittschuhläufer walzern und schmeicheln sich behaglich und extrem nostalgisch in die Gehörgänge, bevor der Höhenhöhepunkt mit dem March aus Elgars Pomp and Circumstances, dem Marsch, erklommen wird; da bleibt dann, denke ich, kein äußeres, zumindest kein inneres Auge mehr trocken (wenn die Bierflaschen endlich geleert sind). Chapeau! Was sonst noch zu hören war, ist schnell gesagt: die Egmont-Ouvertüre, zu der manch Bläser recht revolutionäre Geräusche produziert, bevor er Tschaikowskys Walzer – als dramatischen Vorverweis aufs böse Ende der Geschichte – tonal verfremdet.
Woran also erkennt man ein Konzert etc.? Daran, dass eine Piccoloflötistin den Abend gestisch, also sichtbar innerlich beteiligt begleitet (das ist schön anzusehen), dass der Zwischenapplaus eher kurz ausfällt und der Schlussbeifall umso stärker. Bitte weitermachen und, wie man in anderen revolutionären Zeiten gesagt hätte, vorwärts und nicht vergessen, was Euer Lehrer Euch beibringt und beizubringen versucht; wir freuen uns schon aufs nächste Konzert, das im Sommer – oho! – an keinem anderen Bayreuther Ort als dem Markgräflichen Opernhaus über die Bühne gehen wird.