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Wehret den Fake News!

AllgemeinWehret den Fake News!

Als Jürgen Habermas 1962 sein erstes großes Buch, den Strukturwandel der Öffentlichkeit, publizierte, schloss er mit einem Ausblick auf eine offene Zukunft. Knapp 30 Jahre später versah er das Werk mit einem neuen Nachwort, nun, wiederum drei Jahrzehnte später, sieht das, was Habermas damals als Öffentlichkeit (der Presse und der Medien) beschrieb, von Neuem ziemlich neu aus – oder sollte man besser sagen: unziemlich neu?

Kurz nach seinem 93. Geburtstag hat der Sozialphilosoph ein Büchlein veröffentlicht, in dem, als wär‘s eine weitere Folge seiner leider mit dem XII. Band beendeten Reihe seiner Kleinen politischen Schriften,  die Probleme eben jener Öffentlichkeit(en) analysiert werden. Im Zentrum steht zweifellos die Bemerkung, dass die digitalen Medien seit den 90er Jahren ein Teil jenes kapitalistischen Systems sind, das die „unwahrscheinlichen Stabilitätsbedingungen einer krisenanfälligen kapitalistischen Demokratie“ gefährlich unterhöhlt. Öffentlichkeit und Öffentlichkeit, so der Kritiker, sind zwei verschiedene Schuhe – wo sich die Nutzer der (a)sozialen Medien in die Exklusivität ihrer Blasen zurückziehen, um nur noch mit ihresgleichen zu kommunizieren, wird das, was einmal als Beitrag zu einer relativ vernünftigen politischen Meinungsbildung seinen Beitrag leistete, mehr und mehr ins Abseits gedrängt. Man muss nicht besonders pessimistisch eingestellt sein, um zu bemerken, dass dort eine Gefahr für demokratische Prozesse besteht, wo immer mehr Social Media-Nutzer behaupten, dass „die da oben“ sich nicht mehr für die „Kleinen“ interessieren und private Mitteilungen inflationär dafür sorgen, dass für Viele ein informierter Meinungspluralismus nur noch dort herrscht, wo diverse Verschwörungstheorien in immer mehr Gehirne einwandern.

Habermas, darin ganz der Autor der Theorie des kommunikativen Handelns, setzt, da zwischen der Verständigung, der Öffentlichkeit, der Meinungsbildung, der Politik und der Demokratie ein tiefer Zusammenhang besteht, nach wie auf den Diskurs, oder, wie das neuere Zauberwort lautet, auf die deliberative Demokratie. Gegen die „wüsten Geräusche in fragmentierten, um sich selbst kreisenden Echoräumen“ setzt Habermas auf eine Gesprächskultur, in der die bekannten fake news, die nach und nach dafür sorgen könnten, dass die Gemengelage aus Coronaleugnern, Rechtsradikalen und Idioten die Grundlagen der Zivilisation zerstören, keinen Platz mehr hat.

Idioten? Der Begriff bezeichnete in der Antike all jene Personen, die sich aus öffentlichen-politischen Angelegenheiten heraushielten. Habermas charakterisiert die neue Öffentlichkeit sehr genau, indem er die Kritik der Besserwisser an den angeblich verdorbenen Öffentlichen Medien mit dem allmählichen Anstieg der Nutzer von Twitter, Facebook etc. parallelisiert, die eine eigene, sozusagen nichtöffentliche Öffentlichkeit geschaffen haben – freilich ohne die nötigen Regeln, unter denen einzig vernunftorientierte Gespräche möglich sind. Zu Habermas‘ Analyse aber gehört auch die Beobachtung, dass die traditionellen Printmedien, die Zeitungen und Rundfunkanstalten des öffentlichen Rechts, schon viel zu weit entpolitisiert wurden. Trotzdem wäre es fatal, auf ARD und ZDF, auf DIE ZEIT und die taz zu verzichten. Sein Plädoyer für den Diskurs, der von den oberirdisch agierenden Medien noch geleistet werden kann, entspringt nicht der Nostalgie eines alten Mannes, der nicht auf seine Morgenlektüre verknitterter Blättersammlungen verzichten will, sondern auf der Überzeugung, dass man nur als Teilnehmer am Prozess der öffentlichen Meinungsbildung in der Lage ist, im Sinne allgemein gültiger Normen dazu beizutragen, die Fundamente demokratischer Meinungsbildungsprozesse stetig weiterzubauen. „Es ist deshalb“, so sein Schluss, „keine politische Richtungsentscheidung, sondern ein verfassungsrechtliches Gebot, eine Medienstruktur aufrechtzuerhalten, die den inklusiven Charakter der Öffentlichkeit und einen deliberativen Charakter der öffentlichen Meinungs- und Willensbildung ermöglicht.“ Zugegeben: auf den ersten Blick könnte, streng betrachtet, die Forderung wie der unbegründbare Idealismus eines Theoretikers klingen, der die Voraussetzungen, auf denen er seine Ideen von einer halbwegs glückenden Lebenswelt im Widerspiel zum System gründet, nicht bis zum Urgrund herzuleiten vermag. Dies aber hat die Idee einer deliberativen Meinungsbildung mit allen Ideen zu tun. Was für die Verteidigung der öffentlichen Öffentlichkeit spricht und im Interesse aller Beteiligten sein müsste, ist der Umstand, dass mehr Uninformiertheit immer nur zu einem führt: zu mehr Gewalt – und zu weniger rationalen Lösungsvorschlägen. In diesem Sinne bräuchte es, nach dem soundsovielten Öffentlichkeits-Turn, wohl wieder einen ganz neuen Strukturwandel der Öffentlichkeit(en).

Jürgen Habermas: Ein neuer Strukturwandel der Öffentlichkeit und die deliberative Politik. Suhrkamp, 2022. 18 Euro.

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