Rudolf Steiner hielt 1905 vier Vorträge in Berlin, die sich mit Wagner „im Lichte der Geisteswissenschaft“, also der Anthroposophie, auseinandersetzten. Im Dezember folgte ein Kölner Vortrag über Parzifal und Lohengrin, genau zwei Jahre später ein öffentlicher Vortrag in Nürnberg, der die Überlegungen zusammenfasste: Richard Wagner und sein Verhältnis zur Mystik.
Wenn sich Udo Bermbach in einem Band mit dem „anthroposophischen Wagner“ befasst, wirkt die Studie wie ein Nachschlag zum umfangreicheren Buch, das er den Lebensreformbewegungen von Anno 1900 gewidmet hat. Wichtig ist die Frage, inwiefern die Wagner-Interpretationen des „versteinerten Rudi“ an die Forschung anschlussfähig sind. Man könnte, Goethe zitierend, Folgendes wiedergeben: „Im Auslegen seid frisch und munter! Legt ihr‘s nicht aus, so legt was unter.“ Denn Steiner hat, so Bermbachs Fazit, Wagner nicht mit dem Handwerkszeug eines skrupulösen Philologen erläutert, sondern sich das aus dem Gebäude gebrochen, was er zur Bestätigung seiner eigenen irren Weltsicht benötigte. Gleichwohl enthalten auch seine Vorträge, die Programm und Werk sehr eigentümlich darstellen, noch Spuren von vertretbaren Schlüssen. Der Rest bleibt ein wenig Wahrheit und viel Fantasy – und Wagners und Steiners gemeinsames, wenn auch mit den verschiedensten Mitteln verfolgtes Projekt einer Weltreform, die weit über Soziales und Politisches hinausgeht.
Udo Bermbach: Der anthroposophe Wagner. Rudolf Steiner über Richard Wagner. Königshausen & Neumann, 2021. 136 Seiten. 28 Euro.