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Als die Bilder sprechen lernten

AllgemeinAls die Bilder sprechen lernten

Dr. Hans Vogt und die Erfindung des Tonfilms

„Panta rhei“ – alles fließt. Mit diesen Worten brachten antike Denker eine der grundlegenden Betrachtungen über die Existenz des Lebens auf eine knappe Formel: Alles ist in Bewegung, Stillstand gibt es nicht und jeder Augenblick wird durch ein einzelnes Blinzeln von der nahenden Zukunft zur dahinschwindenden Vergangenheit. Umso umtriebiger suchte man danach, Betrachtungen und besonders wichtige Ereignisse für die Nachwelt zu konservieren; sie demnach über die Grenzen des eigenen Lebens hinweg auf ewig weiterzugeben und so in Erinnerung zu behalten. Ein Ziel, dem man sich seit Jahrhunderten verschrieben hatte und dessen Erfüllung – wenngleich sie uns in Zeiten von Snapchat und Instagram tagtäglich vor Augen geführt wird – erst vor knapp einhundert Jahren in greifbare Nähe gerückt worden ist. Denn obschon es Künstler und Maler schon recht früh verstanden, die eine Szenerie in Form eines statischen Bildes festzuhalten, so war es eben doch im Kern nichts anderes, als ein bloßes „Abbild“ der Wirklichkeit, das vom Künstler entsprechend seiner eigenen Vorstellungen verändert worden war. 

Erste Revolutionen in diesem System begannen im 19. Jahrhundert, einer Epoche, die aufgrund der immensen wirtschaftlichen Fortschritte und Errungenschaften bis heute als wegweisend und bahnbrechend gilt: 1826 fertigte Joseph Nicéphore Niépce die weltweit erste „Photographie“ an, die mithilfe eines Lichtbildverfahrens hergestellt worden ist. Ein Meilenstein in der Geschichte und zugleich Ausgangspunkt für darauf aufbauende Überlegungen – fixierte Momentaufnahmen waren das eine, „lebende“, sich bewegende Bilder aber schienen noch immer in weiter Ferne, wenngleich es bereits knapp zehn Jahre später erste Versuche gab, Photographien durch „wandernde Lampen“ zu animieren. Es sollte knapp siebzig Jahre dauern, ehe es schließlich tatsächlich gelang, durch eine Reihenbelichtung auf ein Trägermaterial den ersten „Film“ zu produzieren, der Arbeiter zeigt, die die Fabrik der Erfinder, die Gebrüder Lumiere, verlassen. Damit war nun endlich der Durchbruch geschafft. Die Bilder hatten Laufen gelernt und schon bald entwickelten sich erste Wanderkinos, die die neueste Erfindung des menschlichen Genius einer möglichst breiten Zuschauerschicht näherbringen sollten. Und dennoch – aller Freude zum Trotz – gab es nach wie vor ein Problem: Die Aufnahmen selbst waren zum Leben erwacht, sicher, doch war es noch immer nicht möglich, die Realität in ihrer Gesamtheit auf Zelluloid zu bannen, da ein entscheidendes Element fehlte: Die Bilder blieben stumm. 

Bereits Ende des 19. Jahrhunderts gab es erste Versuche, Film- mit Tonaufnahmen zu verbinden, wobei es William Kennedy Laurie Dickson war, dem es gelang, den Lumierschen „Kinematographen“ und den Phonographen des Amerikaners Edison so zu koppeln, dass sie Bild und Ton mehr oder weniger gleichmäßig wiedergaben; der Erfolg blieb allerdings aus, da die Qualität miserabel war. So blieb demnach nichts weiter übrig, als die ruckartig ablaufenden Filme auch weiterhin mit Piano, Orgel oder – bei aufwändigeren Produktionen – einem ganzen Orchester zu begleiten, was für einen Tüftler aus Oberfranken jedoch in keiner Weise zielführend war. 

Hans Vogt, 1890 als Sohn des Schmiedes im kleinen Örtchen Wurlitz geboren, hatte sich bereits in jungen Jahren mit der Verbindung von Bild und Ton beschäftigt, wobei seine Überlegungen eine Aufzeichnung des Letzteren direkt auf die Filmrolle vorsah. Ein entsprechendes Verfahren zu entwickeln, gestaltete sich zunehmend schwierig, sodass es insgesamt vierzehn Jahre dauern sollte, ehe er sich 1918 mit Joseph Massolle und Jo Engl zusammenschloss, um als Erfindertrio den Weg zu ebnen. Die Gründung der Gesellschaft „Tri-Ergon“ („Das Werk der Drei“) am 1. Juli 1919 gilt als Geburtsstunde des Tonfilmverfahrens, zu dessen Marktreife weitere drei Jahre vergehen sollten. 150 Patente wurden im Laufe der Entwicklung angemeldet, bis am 17. September 1922 im Berliner Alhambra-Kino der erste Film vorgeführt werden konnte, bei dem Bild und Ton absolut synchron abliefen. Die zugrundeliegende Idee des Trios war schlichtweg genial: Durch Röhren wurde der Ton in elektrische Frequenzen umgewandelt, die mittels einer Lampe für die unterschiedlich starke Belichtung einer neben dem Film laufenden Tonspur sorgten. Beim Abspielen wurde diese Belichtung in elektrische Spannung rückgewandelt, die – wiederum mittels Röhren – in hörbare Tonfrequenzen übertragen werden konnte. So beeindruckend, so wegweisend, so weltverändernd dieser Tag auch war; der Tonfilm selbst drohte zum Fiasko zu werden: Ein geringes Interesse der Filmstudios, deren Stars sich auf die stumme Darstellung konzentrierten und durch den Einsatz ihrer Sprache einen immensen Schaden fürchteten, ließen die Erfindung in der Versenkung verschwinden. 1923 verkaufte das Erfindertrio die Rechte am Verfahren an die eigens gegründete „Triergon AG“ in der Schweiz. 

Zwei Jahre vergingen, ehe sich die deutsche UFA an ein tollkühnes Experiment wagte: Mithilfe des Filmpioniers Guido Bagier wurde in Berlin-Weißensee der Tonkurzfilm „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“ produziert, wofür man das Triergon-Verfahren einsetzte. Am 20. Dezember 1925 kam es zur Aufführung, die zum Desaster wurde: Der Ton versagte komplett und die Kritiker sahen sich in ihrer Meinung bestätigt, dass Bilder zwar laufen konnten, ihnen das Sprechen jedoch nicht vergönnt sein sollte. 

Ironischerweise führte ein starker Konkurrent aus den USA schließlich den Durchbruch des Triergon-Verfahrens herbei: 1927 hatte FOX die Rechte am Tonfilm für den amerikanischen Markt erworben und noch im selben Jahr war mit „The Jazz-Singer“ die erste kommerziell erfolgreiche Produktion in die Kinos gekommen. Anders, als beim deutschen Patent griffen die Warner Brothers dabei auf die ursprüngliche Idee der Kopplung von Kinematograph und Grammophon zurück, was zu einer denkbar schlechten Audioqualität und Synchronizität führte. Dennoch war „The Jazz-Singer“ der Beginn einer neuen Ära, da man sich nun auch in Deutschland wieder an die Produktion von Tonfilmen wagte, für die man das Vogtsche System benutzen wollte. Kurzerhand stampfte man die „TOBIS“ (das „Ton-Bild-Syndikat“) aus dem Boden und ging nur ein Jahr später eine enge Kooperation mit der von AEG und Siemens gegründeten „KlangFilm GmbH“ ein, woraus ein mächtiger Gegenspieler zu den amerikanischen Companies werden sollte: Während sich KlangFilm auf die Herstellung der aufwändigen Produktionsgeräte konzentrierte, lieferte die TOBIS die Filme selbst, an deren Anfang „Ich küsse Ihre Hand, Madame“ stand. Die Aufführung am 16.01.1929 gilt als Meilenstein in der Filmgeschichte, die innerhalb kürzester Zeit immer neue Rekorde brach: Noch im gleichen Jahr ist mit Walter Ruttmanns „Melodie der Welt“ der bis dato längste Tonfilm (mit einer Spieldauer von 40 Minuten) in die Kinos gebracht worden, ehe „Das Land ohne Frauen“ als erste abendfüllende Produktion über die Leinwand flimmerte. 

Die damit ausgelöste Revolution des Lichtspieltheaters ist fortan nicht mehr aufzuhalten: Produktions- und Aufführungsanlagen aus der Stummfilmzeit landen auf dem Müllplatz der Geschichte und auch der berühmt gewordene, an der Kamera kurbelnde Filmemacher verschwindet: Anders, als beim Stummfilm ist beim Tonfilmverfahren eine gleichmäßige Belichtung von 24 Bildern pro Sekunde vorgeschrieben, was mechanische Steuerungen unabdingbar macht. Zeitgleich tritt „die Klappe“ erstmals in Erscheinung, mit der eine Synchronizität von Bild- und Tonaufnahme gewährleistet werden soll. Es ist ein stückweit logisch, dass mit dem Voranschreiten der Technik und den damit einhergehenden kommerziellen Erfolgen auch die Konkurrenz stetig wächst; insbesondere zwischen amerikanischen und deutschen Produktionsfirmen kam es immer häufiger zu Streitigkeiten über die angewandten Verfahren, sodass man sich am Ende zu einer Konferenz in Paris zusammensetzte: Der dabei ausgehandelte Kompromiss vom 22. Juli 1930 sollte als „Tonfilmfrieden“ in die Geschichte eingehen und regelte die Aufteilung des Weltmarktes zwischen den einzelnen Produzenten. Auch die drei geistigen Väter der sprechenden Bilder zog es in verschiedene Richtungen: Während Massolle als technischer Direktor bei der TOBIS einstieg, wanderte Engl nach Amerika aus und brachte die FOX zu neuer Größe. Einzig Hans Vogt, der gebürtige Wurlitzer, blieb dem neuen medialen Rummel fern: in Passau gründete er die bis heute existenten VOGT-Werke und konzentrierte sich weiterhin auf technische Verbesserungen. 1932 stellte er mit „Ferrocart“ die erste massenmarkt-taugliche Hochfrequenzspule vor, die die Dresdner Firma Mende schließlich in ein neuartiges „Radio-Gerät“ verbaute, ehe er sich der Verbesserung der Lautsprecher-Systeme widmete. 1979 starb der umtriebige Erfinder in Obernzell und ist heute – leider – nurmehr Technikfreunden bekannt. Und dennoch: Ohne ihn und seine bahnbrechenden Überlegungen wäre unsere moderne Welt mit ihrer grenzübergreifenden Kommunikation vermutlich nicht existent.  

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