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In jedem Sinne attraktiv

TheaterIn jedem Sinne attraktiv

Don Giovanni am Nürnberger Staatstheater

Wer ist Don Giovanni? Die Frage muss jedes Mal gestellt werden, kann wohl auch jedes Mal beantwortet werden? Don Giovanni ist im neuen Nürnberger Fall – anders noch als während der letzten Inszenierung Georg Schmiedleitners – ein durchaus attraktiver, wenn auch notorisch egomanischer Kerl. Er ist ein Mann, den die Frauen (meist) lieben, auch wenn er sich danach wie der Teufel aufführt. In der Nürnberger Neuinszenierung hört er auf den Namen Samuel Hasselhorn. Gesegnet mit einem Bariton, der seine Mittel zwischen einem heldenhaften und einem lyrisch-empfindsamen Ton offensichtlich souverän wechseln kann, überrascht es durchaus nicht, wenn die erste Szene der Oper, die seit je die Lieblingsszene aller Don-Giovanni-Interpreten war und ist, den „Dissoluto“ selbst als Opfer der weiblichen Leidenschaft einführt, oder anders: Halb zog sie ihn, halb sank er hin, wie ein großer Mozart-Verehrer einst dichtete. Donna Anna ist hier durchaus nicht die Vergewaltigte. Sie ist eine „Furie“ der Leidenschaft, die sich allzu gern dem Mann an den Hals wirft – Julia Grüter, die Königin des Abends, wird an diesem Abend auch vokal zur Gegenspielerin des verführten Verführers. Gesegnet mit einem goldenen Sopran, der die höchsten Passionstöne nicht ins Hysterische oder Dekorative, sondern ins Erfüllt-Schöne wie dramatisch Bewegte hochzudrehen vermag, trägt zusammen mit Hasselhorn die stimmlichen Hauptlasten des Abends – ohne doch die meisten anderen Akteure ins Abseits zu verbannen.Zwischen ihrem initialen „Non sperar, se non m’uccidi“, mit dem das dramma beginnt, und ihrem „Lascia, caro, un anno ancora“, mit dem sie Don Ottavio ein weiteres Jahr, vielleicht für immer vertröstet, liegen Ausdrucksunterschiede größter Art, die durch die Souveränität ihrer Textgestaltung zu einem Charakter verschmolzen werden. Daneben ist Andromahi Raptis’ Zerlina gleichermaßen wunderbar, wenn sie ihre liedhaften Arien – durchaus mit mit einer silbernen, wie Adorno meinte, sondern einer andersgoldfarbenen Stimme – zum Besten gibt und das erotische Dramma giocoso mit aufreizend schulterfreiem Sex-Appeal versieht. Für eine weitere Szene mit Zerlina würde ich auf das (parodistische? Oder kunstvoll sein wollende?) abgestandene Gruppengeräckel während der artifiziellen Orgie verzichten, die auf Geheiß der Regisseurin Vera Nemirova weite Teile des ersten Finales ausfüllt. Don Giovannis zweite Gegenspielerin heißt Donna Elvira alias Corinna Scheurle. Es ist schwer, hier nicht zu beckmessern; mir klingt ihre an sich tragende und ausgewogen artikulierende Stimme gelegentlich zu fragil, um mich ganz zu überzeugen – anders als ihre darstellerische Interpretation der betrogenen Frau, die bis zuletzt am Monstrum leidet und ihn wie manisch verfolgt, da sie ihm verfallen ist (und auch diese Deutung ist stimmig). Joachim Kaiser nannte Donna Elvira einmal (in seinem phänomenalen Mozart-Buch) das „typologische Gegenstück zu Donna Anna“, indem sie, anders als Donna Anna, ihre Energie unverstellt zum Ausdruck bringe – Donna Anna aber ist immer ein (zugegeben: reizvolles) Problem, wenn man sie eindeutig interpretiert und ihr unterstellt, dass sie nicht vergewaltigt, sondern von Giovanni mit vollem Einverständnis „genommen“ wurde. Dass sie gegenüber Don Ottavio lügt, wenn sie die nächtliche Szene erzählt, mag noch glaubhaft, ja realistisch sein (denn wieso sollten Opernfiguren nicht auch uns belügen?). Schwierig wird der Fall, wenn sich die Verführungsszene im Licht abspielt und Donna Anna angeblich nicht weiß, wer ihren Vater getötet hat. Oder verdrängt sie ihr Wissen, bis sie mitbekommt, dass der Geliebte ein Frauenfresser ist und sie nur eine von Tausenden von Frauen ist, die dem Sexmaniac im wahrsten Sinn des Wortes gleichgültig sind? Allein dies würde das seltsame Verhalten der Donna Anna in Vera Nemirovas Inszenierung erklären, die sich in ihrer Deutung der Figur des Titelhelden auf die alte, der Romantik – nicht der Mozartzeit – entstammenden Idee bezieht, derzufolge sich Donna Anna dem faszinierenden Charme des „dämonischen“ Don Giovanni nur allzu gern und unausweichlich hingegeben habe; es ist, rein philologisch und historisch betrachtet, ein Unsinn – aber so gespielt und gesungen funktioniert er wenigstens teilweise: und zwar gleichermaßen mit Text und Musik, die vieldeutiger sind, als es sich Mozart und Da Ponte es sich vorstellen konnten. Immer noch besser, als den Don als einen koksenden, mittelalten Mann mit Schmerbauch und rauer Stimme auf die Bühne zu stellen, der so charmant wie eine Zigarettenschachtel ist (so wie Anno 2013 im Nürnberger Staatstheater).

Es reicht ja schon, den Don so darzustellen, wie ihn das Libretto abbildet: als Prasser und gegen alle Konventionen verstoßenden, die Ordnung störenden Flegel, der, wie Leporello sagt, nicht allein in Sachen Frauenvernaschung mit einem „barbarischen Appetit“ gesegnet ist. Wonyong Kang singt den Diener mit komödiantischem Witz und starkem Ausdruck, als Opfer und Täter zugleich, also mustergültig, auch als optisches Gegenbild des Don Ottavio, den die Kostümbildnerin Marie-Luise Strandt in die Kluft eines Büroangestellten gesteckt hat, wie sie wohl noch in den 50er Jahren und in den bundesdeutschen Filmen der Epoche herumliefen. Damit wird, wieder einmal, die Figur verspießert, obwohl Ottavio doch, anders als der maßlose und in seiner Maßlosigkeit zunehmend irrationaler werdende, wenn auch auf seine Weise attraktive Don Giovanni, nichts weiter als ein Beispiel zärtlicher Zuneigung und kontrollierter Vernunft ist – was emotionale Aussagen nicht ausschließt. Vera Nemirova hat bei ihrer Interpretation der Figuren sich eindeutig auf die Seite des Mannes geschlagen, den sie, sie gibt das in ihrem „Liebesbrief an Don Giovanni“ auch unumwunden zu, äußerst attraktiv findet. Pech für Ottavio, der in ihrer durch nichts legitimierten Lesart ein Karrierist, nichts weiter ist. Schade um die Figur, die somit aus dem Spannungsgefüge herausfällt – und schade um seine zweite Arie „Dalla sua pace“, die, da man die Prager Fassung spielt, an diesem Abend leider nicht gesungen wird. Sie hätte die Figur mit ihrer „Herzensreinheit“ (so der Mozart-Kenner Joachim Kaiser) ja auch nobilitiert. Und was nicht in die subjektive Ansicht passt, muss eben gestrichen werden. Doch muss man dankbar sein, dass Sergei Nikolaev aus der Figur keinen Hampelmann, sondern mit Hilfe des Wesentlichen eine ernstzunehmende Figur macht.

Bleibt der notleidende Gegenspieler des Don: der unterlegene „Prolet“ (O-Ton der Übertitel) Masetto, der bei Demian Matushevskyi stimmlich wie gestisch sehr gut aufgehoben ist: ein ruraler Kerl, der aber doch sensibel genug ist, um seine Frau denn doch nicht zusammenzuprügeln uns sich lieber auf harmlose Peitschen- und Demütigungsspiele einlässt. Bleibt zuletzt der eindrucksvolle Komtur des Taras Konoshchenko, der einfach so in die Szene wieder hereinspaziert, wie er einst auf Erden wandelte: als bürgerliches Monument pietistischer Unbestechlichkeit. Kein Wunder, dass die Tochter sich dem so ganz anderen, dem Vater so gar nicht entsprechenden Mann hingeben wollte …

Bleibt neben dem wie stets präsenten, sich in diverse Händel und Aktionen einmischenden, von Tarmo Vaask geleiteten Chor und den Edelstatisten wie dem wahrlich eine tragende Rolle einnehmenden Michael Dudek last not least die Staatsphilharmonie Nürnberg, die unter dem GMD Roland Böer, der auch die Rezitative vom Hammerklavier aus sehr flexibel und im besten Sinne theatralisch begleitet, einen denkbar frischen, durchsichtigen und packenden Klang aus dem Graben entlässt. Es macht einfach Freude, schon bei den ersten schroffen d-Moll-Takten im akustisch nicht gerade idealen Opernhaus das Orchester zwar dominant, aber nicht knallig wahrzunehmen. Es macht Spaß, die schlackenlosen Nuancen wahrzunehmen, die bei allen schnellen, doch niemals verhetzten und bei allen langsamen, doch niemals verschleimten Tempi hörbar sind: bei den hurtigen Streichern wie den Köstlichkeiten der Holzbläser. So bewegt sich die Orchesterinterpretation zwischen dem Brio der Komödie und dem Pathos des Erhabenen (das Maskenterzett! Die relativ schnell genommene Passage im genialen Trompeten-Übergang im Sextett des 2. Akts, für den Richard Strauß eine seiner Opern gegeben hätte, passt trefflich zu den tiefsinnigen Phrasen in den Arien der Donna Anna und der Donna Elvira, die heftigen Akzente in den dramatisch geladenen Ensembles zum Untergangsfinale vor dem Prager Finale. Don Giovanni fährt schließlich – was für ein Bild! (Bühne: Jens Kilian) – in einem der Särge zur Hölle. Keine der drei goldenen (!) Türen im so einfachen wie praktikablen Raum der Nacht kann ihn in irgendeine Freiheit entlassen, weil seine „Libertá“ auch darin besteht, sich der Konvention der Demut zu entziehen. Doch während die Überlebenden ihren moralischen Schluss formulieren, sehen wir wenigstens noch ein paar Sekunden lang, dass Don Giovanni auch in der Hölle noch der König bleiben wird, der er auf Erden sein wollte. Die wenigen Momente, in denen Vera Nemirova uns den Typen in einer Art autistischer Verzweiflung gezeigt hat, waren wohl nur dazu da, uns zu demonstrieren, dass die Pausen zwischen den – pardon – einzelnen Ficks für einen Egomanen nur schwer zu ertragen sind. Dass man, mit wenigen Abstrichen (siehe oben), den neuen Nürnberger Don Giovanni lustvoll durchgeniessen kann, zeugt am Ende nicht allein von Mozarts und Da Pontes Genie. Man hat den „Dissoluto“ am Ort auch schon einmal primitiver gesehen. Der Beifall war jedenfalls gewaltig – kein Wunder: bei dieser Besetzung und diesem Orchester.

Fotos: © Bettina Stöß

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