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Nikolai Gogol: Erzählungen

Das neue BuchNikolai Gogol: Erzählungen

Der Mann war schon merkwürdig. Nikolai Gogol, der mit dem großen Alexander Puschkin zu den Erfindern der russischen Prosakunst gehört, war einerseits ein Mensch, der sich das Gutsein und Weltverbessern aufs Panier geschrieben hatte. Andererseits triefen seine Erzählungen vor satirischem Gift, aber wer weiß? Vielleicht gilt ja in Gogols Fall dasselbe wie für Thomas Mann: dass die Ironie, so Mann, nichts Anderes sei als ein Mittel der Menschenfreundlichkeit.

Wer sich in Gogols Erzählungen hineinbegibt, wird es meist mit karikaturistischen Figuren zu tun haben. Der armselige Kopist Akakij Akakijewitsch, der das Äußerste tut, um zu einem neuen Mantel zu kommen, der ihm schon schnell gestohlen wird, woraufhin er stirbt und als unerlöstes Gespenst seine herzlosen Kollegen ängstigt, der Kollegienassessor Kowaljow, dem kein Kleidungsstück, sondern zeitweise seine Nase abhanden kommt, die zwischendurch als Staatsrat verkleidet durch Petersburg läuft: die Erzählungen um die sonderbaren Typen gehören so gut zum russischen Seelenhaushalt wie zur Weltliteratur, doch hat der Mann aus Welyki Sorotschynzi, dem damaligen Kleinrussland, sich auch durch seine ukrainischen Volkserzählungen, den Abenden auf dem Vorwerk bei Dikajnka, in die Literatur eingeschrieben. Hier geht es in eigenem Sinne tümlich zu: der Liebe zu den Bauern und Händlern, den jungen Mädchen und den alten Trotteln, entspricht immer ein gehöriges Maß an komischer Distanz – als wollte sich der Autor, der die Welt doch so genau kannte und so aberwitzig beschrieb, nicht mit ihr gemein machen.

Skeptisch angesichts einer missglückten Aufklärung verweigerte er sich, zumindest theoretisch, weil unendlich fleissig an seinen Werken arbeitend, dem Ansinnen, das der Arzt und Dichter Anton Tschechow ein paar Jahrzehnte später nur noch in die Sehnsucht nach einer irgendwann einsetzenden, irgendwann glückenden Tätigkeit packen konnte. Wenn etwas an der Literatur überlebt hat, dann weniger die Utopie einer Guten Gesellschaft als das so feinsinnige wie grelle Licht, das Gogol auf die kleinen und vermeintlich großen Leute, die sog. „Würdenträger“, warf, auch auf Subjekte wie den toten Mann, der um seinen Mantel trauert. „Das Gespenst“, heißt es am Ende des Mantels, „war aber viel größer geworden, als es Akaki Akakijewitsch bei Lebzeiten war, und hatte eine mächtigen Schnurrbart. Es schlug anscheinend die Richtung zur Obuchowschen Brücke ein und verschwand in der Nacht.“
Die Gespenster, die Gogol vor bald 200 Jahren beschrieb, sind vielleicht noch unsere.

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