Werden Tristan und Isolde in einem crash enden? Befinden sie sich nicht auf einem Weg nach Nowhere? Sind sie mit ihrer Liebe nicht abgestürzt?
Diese Fragen könnten dem Opernfreund kommen, der den Namen des Regisseurs der diesjährigen Tristan-Premiere der Bayreuther Festspiele gelesen hat – denn Roland Schwab liebt es, seinen Figuren in Räumen Platz zu schaffen, die so symbolistisch wie realistisch aussehen. Schwab, der am Anfang seiner Karriere die Meininger Ring-Inszenierung von Christine Mielitz als Regieassistent begleitete, hat zwar bislang „nur“ eine eigene Wagner-Regiearbeit vorgelegt – aber die hatte es in sich. Gilt Lohengrin als ein besonders schwieriges Stück (wer glaubt heute noch an Heilsbringer?), so fand Schwab mit einem so simplen wie mächtigen Bild zu einer Lösung des Problems: auf der Cinemascope-Bühne der Salzburger Felsenreitschule konnten die Besucher 2019 ein riesiges Flugzeug anschauen, das offensichtlich gerade auf die Erde gekracht ist. Über allem stets schwebend, mal flackernd, mal leuchtend: das Wort „Glauben“. „Lohengrin, ein breitangelegtes Panorama kollektiven Scheiterns. Eine Gemeinschaft, die zum Glauben nicht mehr fähig ist“ – mit diesen Sätzen fasste Schwab damals seine Grundidee zusammen. Mag sein, dass die Akustik im allzu großen Raum kaum funktionierte und das zugleich mataphorische wie physisch gewaltige Bild nicht jeden Zuschauer überzeugte – als theatralische Setzung und Erlebnis dürfte die Inszenierung kaum einen Zuschauer kalt gelassen haben. Denn darauf versteht sich Schwab von je: die menschlichen Abgründe in starken, genau choreographierten wie entfesselten Bildern auf die Bühne zu bringen.
Um die Visionen Wirklichkeit werden zu lassen, bedarf es freilich eines Partners vom Range Piero Vinciguerras. Zusammen schuf das Dreamteam seit 2008 nicht weniger als neun Inszenierungen, beginnend mit Strawinskys The Rake’s Progress (am Theater Dortmund), über den Don Giovanni (an der Deutschen Oper Berlin, 2010), Vivaldis Farnace (am Staatstheater Braunschweig, 2014), Arrigo Boitos Mefistofele (Bayerische Staatsoper, 2015), die Tosca (Braunschweig 2016), den Guillaume Tell (Staatstheater Saarbrücken 2017), den Otello (Essen 2019), den Lohengrin (Salzburg 2019) und Don Carlos (Saarbrücken, 2020). Gerade erlebte Puccinis Trittico in Essen seine Premiere – auch dies eine Arbeit, die, so spielerisch sie auch anmutet, immer von einer konkreten Grund-Idee, einem gebauten Bild, ausgeht, um die Emotionen der Gestalten in einer spektakulären Architektur zu spiegeln – und diesen Figuren gleichzeitig einen großzügigen Spiel-Raum zu schenken. Steht Vinciguerra einmal nicht als sein erfahrener Dauerpartner zur Verfügung, so gehorchen die Räume doch immer den Vorstellungen des Regisseurs, der lost places, ins Nirgendwo führende Straßen (auf der Isaac Albeniz‘ Merlin bei Schwab zu spielen hatte), abgewrackte Fahr- und Flugzeuge und Ruinenszenarien liebt: so wie in Walter Braunfels‘ Ulenspiegel. Realismus? Schwab weiß, dass Opern nur auf dem Theater spielen, auf dem er mit Hilfe seines kongenialen Bühnenraumerfinders seine Mixturen aus theatralischer Dichtung und wahrem Leben platziert. „Trotz des unheimlich grausigen Settings“, schrieb 2018 ein Rezensent über den Berliner Don Giovanni, „gewinnt der Regisseur selbst solchen extremen Szenen eine Leichtigkeit und etwas fliegend-ephemeres ab, dass die Bezeichnung dramma giocoso vollkommen verständlich wird“, bevor man über den Guillaume Tell befand: „Innerlich gefesselt beginnt die Oper in einer Gefängniszelle und endet auf einem imaginierten Steg, der nicht nur in die Weite eines alpenländischen Sees führt, sondern metaphorisch den Blick für das Wesentliche öffnet.“ Kein Wunder also, dass Schwab für den mythischen Merlin ein Konzept entwickelte, das zwischen dem mittelalterlichen Krieger- und Zauberer-Epos und einem Krimi im Hollywoodformat vermittelte: auf der Autobahn in die gebrochene Moderne, in der man als „Held“ nur scheitern kann.
Apropos Autobahn: Gefragt, wie es zum Bayreuther Tristan-Auftrag kam, meinte Schwab: „Es war crash-mäßig, aber das liebe ich. Ich funktioniere als Regisseur so, dass ich in kurzer Zeit Konzepte entwickeln kann – und manchmal sind die nicht schlechter, als wenn man drei Jahre Zeit hat.“ Kein schlechtes Omen für einen Regisseur und eine Oper, die für den Menschenkundler und den Bühnenerfinder wie geschaffen ist. Wie Schwab in Zusammenhang mit dem Lohengrin so schön sagte: „In der tiefsten Depression und Misere, im weiterstreckten Panorama allergrößter Hoffnungslosigkeit gelingt es so, uns noch einmal schweben, uns noch einmal abheben zu lassen“ – in Bayreuth nun also in die Nacht der Liebe…