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Es wurde gut

„Götterdämmerung“ bei den Bayreuther Festspielen 2023

„Wir wissen ja, wie‘s wird“, sagt der Kritiker hinter mir. Weiß er „es“ wirklich? Wenn nicht einmal die (angeblich) weisen Nornen es wissen?

Natürlich weiß er‘s nicht – denn er hat ja kurz vor 16 Uhr noch nicht die vier Sänger gesehen und gehört, die 2023, in Nachfolge der Vorjahresinterpreten, die Hauptrollen Siegfried, Brünnhilde, Hagen und Gutrune spielen. Er hat vor Beginn des Vorspiels zum Schlussstein der Tetralogie ebenso wenig die Änderungen intus, die Valentin Schwarz heuer an seiner Inszenierung vorgenommen hat. Mit ihnen aber, viel mehr noch mit den neu engagierten Sängern, ändert sich auch die Inszenierung. Und selbst gesetzt den Fall, dass diesmal die gleichen Interpreten der vier Rollen auf der Bühne des Festspielhauses stehen würden – selbst dann hätte man es mit einer zumindest latent anderen Produktion zu tun. Denn Theater ist in seiner reinsten Form unwiederholbar. Seltsam, dass man das den älteren und zweifellos erfahreneren Kollegen erklären muss…

Den Rang der „neuen“ „Götterdämmerung“ macht also weniger die Tatsache aus, dass Schwarz hier und da etwas strich, hier und da etwas ersetzte. So sehen wir nun nicht mehr die unheimlichen Mannen aus dem von Gegenlicht beleuchtetem Nebel gegen das „Kind“, das Gold, den Reif heraustreten. Stattdessen kommt eine dunkle Masse nach vorn, was nicht weniger bedrohlich wirkt, aber für Freunde des Horror-Klassikers „The Fog“ nicht ganz so thrillermäßig wirkt. Geschenkt! Auch dürfen jetzt die demaskierten Partygänger auf der Hinterbühne eine Fete feiern; dies macht in Hinblick auf das Finale des 2. Akts schon deshalb Sinn, weil sich nun Siegfried zusammen mit Gutrune in einen rauen GV begeben kann: was die anwesende Brünnhilde selbstverständlich noch mehr schockieren muss als der Verrat, den sie zuvor erfahren musste. Die bedeutendste Änderung aber – gerade sie trifft kurz vor dem Schließen des Vorhangs nach dem 3. Akt auf besonders vehemente Gegenreaktionen einzelner Buhianer – wurde am Schloss vollzogen. Nun  hat Schwarz das technisch unzureichende Finale des Vorjahres mit einem so schroffen wie verständlichen Coup beendet: Nachdem Brünnhilde ihre Rede an die Nation bewusst vor der Szene, dann an Siegfrieds Leiche, in den Raum geschickt hat, und während das „Erlösungsmotiv“ selig ertönt, sehen wir Wotan über der Szene, im Lichtraum, an jenem Strick hängen, den er sich selbst drei Opern lang gedreht hat. Das ist brutal – und doch werkgerecht. Denn so, genau so, steht es schon bei Wagner. Man muss nur die Regeianweisung des Schlusses lesen und Waltrautes Worte noch im Ohr haben. Hier findet die Geschichte Wotans, die von der zweiten Szene des „Rheingold“ bis zum Schlusstakt der „Götterdämmerung“ nicht aus Aug‘ und Ohr verschwindet, seine Vollendung in jener suizidalen Gestalt, die Wagner dem „Gott“, von dem er wusste, dass er auch nur ein Mensch ist, ausdrücklich mitgab. Dass Hagen nach seinem „Zurück vom Ring“ einfach umkippt und die Rheintöchter wie das Kind, das diesmal nicht plötzlich wie entseelt zu Boden sinkt, schlussendlich abgehen: auch dies widerspricht nicht der Lösung, die Wagner sich imaginierte. Wer es beklagt, dass ausgerechnet Gunther übrig bleibt, blendet aus, dass auch er ein Täter – und ein Geschädigter ist und bleiben wird, dem „Erlösung“ kaum noch blühen wird. Was schön und, ja, „erhebend“ bleibt, ist das von Luis August Krawen meisterhaft entworfene Animationsbild der beiden Brüder, die, im Mutterleib verbunden, sich innig und friedlich in den Armen halten. Dies ist ein fantastischer Schluss, mit dem sich der „Ring“ rundet und, versöhnt mit Gott und Welt, von Neuem beginnen könnte – also ganz großes Theater, das in EINEM Bild die alten Fehler und zugleich, weit über Wagners Ratlosigkeit in Sachen langfristiger „Lösung“ hinaus, die neuen Möglichkeiten einer gelingenden Menschlichkeit zeigt. Nicht allein der freundliche Kollege, der aus Frankreich angereist war und vier Abende lang nicht sicher war und intensiv darüber nachdachte, wie er über den neuen „Ring“ denken könne, war am Ende, wie er bekannte, angesichts der letzten Minuten des Abends „gerührt“. Er war es vermutlich so wie die vielen Zuschauer und -hörer, die ihre Bravos schon schnell gegen die voreiligen Brüller in den Raum warfen.

Es liegt natürlich zunächst an den Sängern. Allein sie machen ja erst das Drama, das einerseits Humor verträgt und andererseits an den entscheidenden Stellen zutiefst erschüttert. Andreas Schagers Siegfried ist auch deshalb phänomenal, weil sein Tenor inzwischen eine dunklere Färbung besitzt, die ihn für den älteren Siegfried, auch für seine leisen und zärtlichen Töne prädestiniert; abgesehen davon spielt er mit einer Genauigkeit, dass selbst die übelsten Aktionen legitimiert werden. Die Ironie, mit der er die Liebeswidmung an Brünnhilde versieht, macht die Handlung (die Überschüttung Granes mit dem giftgrünen Saft) nicht absurd, sondern gespenstischer, als es die Einnahme eines „Zaubertranks“, an den keiner glaubt, je sein könnte. Wenn er coram publico Gutrune, pardon, vögelt, ist‘s derb – und zugleich ein Charakteristikum der Figur des Kerls, den auch orthodoxe Wagnerianer nicht mehr als „Held“ bezeichnen würden; Selbstverschuldung ist bei Siegfried nicht alles, aber viel. Catherine Foster singt und spielt gleichfalls eine erstrangige Brünnhilde, indem sie zunächst ihre Stimme schont, um in den großen Phrasen umso stärker stimmschön und dramatisch erfüllt zu agieren. Der neue Hagen heißt Mika Kares, er hat einen dunklen Bass, mit dem er die Partie zielsicher prägt und, anders als der Hagen des Vorjahres, mit jener männlichen Kraft erfüllt, die sich auch gestisch wiederfindet. Dieser Hagen ist ein gefährlicherer Zeitgenosse als der Hagen 2022, während Siegfried brutaler und Brünnhilde stimmlich wesentlich souveräner agiert. Also: das Terzett bestimmte diesmal über weite Strecken den Ton dieses Abends, der aus den Bezirken des müden Insichhineingrummelns (Hagen), des ältlichen Ärgerns (Siegfried) und des vokal und deshalb auch schauspielerisch leicht nervenden Beleidigtseins (Brünnhilde) höchst überzeugend heraustreten konnte. Gutrune war diesmal die ausgesprochen gute Aile Asszonyi, während Gunther wieder von Michael Kupfer-Radecky gemimt und gesungen wurde: optisch wie ein leicht verrückter Doppelgänger Herrn Geissens, sängerisch sicher und fest. Die wunderlich abgetakelten Rheintöchter blieben auf hohem Einzel- und Gesamtniveau, ihre Herbstmusik strudelte sich in die Herzen der Hörer, während die Nornen (am besten: Okka von der Damerau und Claire Barnett-Jones) nicht ganz so homogen klangen wie die ehemaligen Hüter jenes Swimming Pools, in dem die Siegfried-Geschichte ihren Schluss findet.

Zum Schluss aber wurde wieder das Orchester gefeiert, mit dem Pietari Inkinen eine persönliche, deliziöse und sensible Wagner-Interpretation vorlegte, die weniger auf Überwältigung als auf Überredung setzte, oder anders: Überwältigung wurde hier durch feinste Farben, wohl abgewogene Kontraste, Herausarbeiten aller möglichen Linien, dramatische Entwicklungen und dynamische Abstufungen erreicht. Also wie bei der Regie, die den „Ring“ 2023 für ein Publikum, das nicht alles sah und verstehen konnte, mit Klärungen versah, die der Arbeit, auch der Arbeit an Wagner gut tun. Nein, man kann den „Ring“, auch nicht diesen, „wissen“, bevor man nicht die nächste Aufführung gehört und die nächste Inszenierung gesehen hat.

Der kaum zu unterschätzende Rest ist starker Beifall: für die Musiker und das abwesende Regieteam.

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