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Das alte Stück ist nicht von gestern

TheaterDas alte Stück ist nicht von gestern

Brillant: Eugène Ionescos Der König stirbt in der Studiobühne Bayreuth

Der König liegt. Ist er schon tot? Oder schläft er nur?
„Der König stirbt“ – das war mal ein viel gespieltes Stück des Dramatikers Eugène Ionesco, das, vor 60 Jahren uraufgeführt, für viele Zuschauer wohl ein besonders gelungenes Beispiel des sog. Absurden Theaters ist und war. Dabei hat Ionesco, der heute als der – neben Samuel Beckett – bekannteste Vertreter dieser Gattung gilt, selbst die Frage gestellt, was denn das überhaupt sei: absurd. Das Motto im Programmheft der Studiobühne zitiert denn auch die Aussage des Autors, dass wir „keine Vorstellung dessen haben, was nicht absurd ist“.
Also schläft der König. „Der König ist tot“ formuliert sein Thema tatsächlich, bezogen auf die „klassische“ Dramaturgie, bewusst nicht-absurd. In „Die kahle Sängerin“, die vor einigen Jahren an der Studiobühne einen triumphalen Erfolg einheimsen konnte, sah es noch alles ganz anders aus. Hier aber wird es bitterernst – denn dem König, der da zu Beginn und für ein paar Minuten noch fast regungslos schläft, wird nach seinem Aufwachen die Botschaft verkündet, dass er in genau 90 Minuten sterben wird. Was dann äußerlich passiert, ist schnell erzählt. Sobald der König die Mitteilung vernommen hat, macht er viele der möglichen Phasen eines Menschen durch, der mit seinem Tod direkt konfrontiert wird. Jammern und Wüten, Weinen und Schreien, Ignorieren und leises Begreifen – das wird ausgespielt. In Bayreuth ist nun der König kein sein Reich seit Jahrhunderten regierender Greis, wie ihn Dieter Hallervorden 2022 im Berliner Schlossparktheater halb listig, halb learhaft auf die Bühne gestellt hat. Valentin Lotze ist ein sehr junger Mann, dem als König die Angst vor dem allzu frühen Tod ins Gesicht und, pardon, in das Gedärm geschrieben ist. Julius Semmelmann lässt ihn auf einer von allen Seiten einsehbaren Bühne rund ums Bett die mal komische, doch selten zum Gelächter animierende, mal krachende Tragikomödie spielen. Als sein eigener Bühnen- und Kostümbildner hat Semmelmann die Szene aus einem Guss entworfen; der lustvollen Strenge der Inszenierung entspricht die Genauigkeit, mit der die Spieler sprechen und laufen. Die Abwesenheit von Regieeinfällen (den „Läusen der Regie“, wie Heiner Müller das einmal nannte) harmoniert mit der Bildhaftigkeit der Kostüme und dem Antlitz, derer, die drinstecken. Oliver Hepp erspielt sich als Leibarzt, der auch in Maurice Maeterlincks durchaus vergleichbarem Endzeitdrama „Pelléas und Melisande“ als Mediziner des verwalteten Todes gut zu tun hätte, die wohl gruseligste Rolle seiner bisherigen Bühnenlaufbahn, Barbara Lattas ist eine finsterschwarze Königinmutter Margarethe im Geist eines hochgotisch gewandeten Königsdramas á la „Shakespeare“ (also Edward de Veres, des 15. Earl of Oxford), das Dienstmädchen Julchen ist mit Tina Leistner ein fränkisches, bei allem Embonpoint von der Armut ausgezehrtes Trutchen, die Königin Maria bei Ramona Schmittgall eine junge Frau vom Typ Grace Kelly, der groteske Wächter schließlich durch Franz Rupprecht ein treuer und ein wenig dümmlicher Diener seines Herren. Der aber ist scheinbar wenig von des Gedankens Blässe angekränkelt, obwohl er im Gewand eines im 18. Jahrhundert beheimateten absolutistischen Weißclowns daherkommt – auf jeden Fall ist das und sind sie alle: schlichtweg brillant. Das alte Stück, man merkt’s, ist nicht von gestern.
Nein, man muss, auch wenn man seine Verzweiflung zutiefst versteht, kein Mitleid mit dem jungen Mann haben, der am Ende keinen letzten Seufzer von sich gibt, sondern wie panisch die Bühne verlässt, bevor ein letzter dunkler Monolog der einzig überlebenden, nicht zufällig wie der Tod aussehenden Übermutter das Drama beendet. „Der Tod ist scheiße“, sagt Julius Semmelmann. Wir können auch sagen: Solange das (Theater des) Leben(s) gespielt werden kann, ist es gut, auch wenn es nicht gut ist. Ionescos „Kahle Sängerin“ wurde an der Studiobühne einst von Dominik Kern inszeniert. Die Aufführung „Der König stirbt“ trägt eine Widmung: „In Memoriam Dominik Kern 1982 – 2023“.
„Der König stirbt“ feiert, wenn man so will, durch die schiere Qualität der Interpretation, der Regie und der Spieler, nicht zuletzt der musikalischen Beilagen, das Leben – und erweist sich der Widmung als würdig. Der König schläft? Nicht in der Studiobühne!

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