Sicher gut: Philipp Löhles Am Rand (ein Protokoll) in der Studiobühne Bayreuth
Punkt 1: Das Stück hat keine Pause. Es dauert 85 Minuten und läuft durch.
Das ist schon das einzige Sichere in Philipp Löhles Am Rand (ein Protokoll). Oder halt: Randhausen, das Dorf mit dem eindeutig-zweideutigen fiktiven Namen am Rande der Oberpfalz, gleich vor der tschechischen Grenze, Randhausen ist ein Ort, der total sicher ist – bis ein neugebackener Polizist ins Dorf kommt und feststellt, dass es nicht angeht, dass die Einwohner auch nachts ihre Türen nicht zuschließen und am Tage ihre Fahrräder nicht abschließen. Was wie eine Idylle beginnt, endet schließlich in der totalen Unsicherheit – auch über die „Wahrheit“ dieses schönen Stücks.

Foto (c) Thomas Eberlein / Studiobühne Bayreuth
Modernes Theater, also ein Theater, das den Anschluss an die ästhetisch-dramaturgischen Mittel des, na, sagen wir: späten 20. Jahrhunderts, gefunden hat: In der Studiobühne Bayreuth ist es, das ist sicher, nicht alltäglich. Mit Löhles, des Nürnberger Schauspielhaushausautors Stück, hat es einen Coup gelandet, dem die Regie (Frederick Redavid) und die Akteure auf die witzigen Sprünge helfen. Redavid, ein Mann aus Innsbruck, Schauspieler, hat damit seine dritte Regie vorgelegt; man wünscht sich mindestens eine weitere im Haus an der Röntgenstraße. Mit Alex Leschinsky, Claudia Stühle, Heike Hartmann, Ricco König und Olli Hepp hat es zudem ein derart stimmiges Ensemble auf die kleine Bühne gestellt, das sichtlich Spaß hat an den Unsicherheiten, die der Plot mit souveräner Distanz zum Täglich-Alltäglichen hergibt – ohne doch vergessen zu lassen, dass es in Randhausen (oder wo immer) bitterernst hergeht. Man lacht übrigens oft an diesem Abend, bis einem das Selbe nach 40 ordentlich ausgezählten Punkten im Hals steckenbleibt. Im kleinen Mikrokosmos der Nachbarschaft, der dörflichen Kommunikation und der Nähe zum „Anderen“ enthüllt sich, inmitten der Installation aus Holz- und Metallregalen, also im von Stefan Schneller gebauten Archiv und Kunstraum der Erinnerungen, eine Welt an der inneren und äußeren Grenze, die lustvoll zwischen Komödie und Tragödie, Traum und Wirklichkeit, Wahn und Wahrheit changiert. Schon die Tatsche, dass jede Spielerin / jeder Spieler zwei bis drei Rollen intus hat und eine „dramatische Musik“ nichts als das Plinkern einer Ukulele ist, macht die Sache interessant. Leschinsky spielt den Dorfpolizisten, dem die „Sicherheit“ zu unsicher ist (schon ihre Kauderwelchrede vor der wirtshauslichen Dorfgemeinde ist ein sprachliches Kabinettstück); sie ist auch Luisa Schwerte, das Kind, das in den Wald geht, um den großen Troll zu treffen. Claudia Stühle mimt die sterbende Mutter im Konflikt mit ihrem Sohn und Exmann, Heike Hartmann eine dialektale Ehefrau und weitere weibliche Individuen auf dem Terrain der bürgerlichen Anarchie, der junge Ricco König den Sohn der sterbenden Frau und den Mann mit dem Gewehr (alles sehr sehr unsicher in Randhausen) und Olli Hepp den aufgeräumten Dorfgranden Robert Fogel. Wie gesagt: ein grandioses, weil sprachlich und gestisch schlicht und einfach vollkommenes Ensemble, bestehend aus glänzenden Einzelauftritten, die sich zu einem Ganzen weben.
Am Ende herrscht, während der dritte Weltkrieg beginnt, die totale Verbrüderung. Eine Utopie, was sonst, sie wird auch so genannt. Braucht man solche Stücke in dieser Zeit, heute, da die Grenzen immer unsicherer werden – oder, das ist die Pointe, immer unsicherer scheinen? Gutes Theater braucht man immer. Also auf in die Studiobühne, wo man noch wenige Tage die Gelegenheit hat, so kurzweiliges wie intelligentes Bayreuther Theater at its best zu beobachten.
Frank Piontek