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Wenn es neiwärst geht: Gedanken zum Volksglauben

HeimatlichesWenn es neiwärst geht: Gedanken zum Volksglauben

Wenn der Herbst Einzug hält, beginnt die Zeit des Volks- und Aberglaubens: Mit den ersten Hochfesten an Allerheiligen und Allerseelen neigt sich das Jahr langsam dem Ende zu, ehe in Gestalt der „Raunächte“ der Übergang vom Alten zum Neuen beginnt. Seit Alters her schreiben die Menschen dieser Spanne eine große Bedeutung zu, was auch erklärt, warum über die Ursprünge des Aberglaubens schon derart viel geschrieben wurde. Für die einen leitet er sich von heidnischen Ritualen ab, die im Rahmen der Christianisierung dämonisiert wurden, die anderen, darunter Luther, erkennen in ihm grundsätzlich alles, was nicht der christlichen Religion entspricht.

In Wahrheit stellt er, insbesondere in Gestalt der teils bis heute praktizierten Bräuche, einen elementaren Bestandteil der regionalen Kultur dar: Eine grundsätzliche Eigenschaft des Menschen ist es, nach Wissen zu streben. Nichts kann für uns „einfach so sein“, sondern es braucht für alles eine möglichst logische Erklärung. Fehlt sie, vermuten wir das Schlimmste, was am Ende gar zu einer nicht beherrschbaren Angst vor allem Unbekannten führen kann. Noch vor gut 150 Jahren war diese Furcht allgegenwärtig: Die Nächte waren finster, die Natur dem Menschen noch nicht Untertan und das Leben alles in allem unsicherer. Selbst in ganz normal scheinenden Situationen erkannte man eine grundsätzliche Gefahr. Wenn das Wetter nicht mitspielte und die Ernte schlecht ausfiel, konnte die Familie schnell am Hungertuch nagen. Die Meinung, dass tief in den Forsten unheimliche Gestalten ihr Unwesen trieben und einem auflauerten, so man sich nicht an ihre Regeln hielt, war weithin verbreitet.

Und des Nachts, wenn alles schlief, drangen oftmals seltsame Geräusche an die Ohren derer, die wachsam ins Dunkel lauschten. Um sich gegen eben diese ganz alltägliche Unsicherheit und Machtlosigkeit gegenüber dem Unerklärbaren schützen zu können, suchte man Deutungen – und dachte sich, falls diese fehlten, einfach etwas ansatzweise Logisches aus. Aus dem nächtlichen Rauschen und Brausen wurde die Wilde Jagd, das Knarzen im Gebälk rührte von „Erdschmieden“ und wenn sich einem im Bett die Brust zuschnürte, musste eine „Trud“ dafür verantwortlich sein.

Diese Jagd nach Wissen und Erkenntnis ist ein urmenschliches Motiv, das sich immer wieder in allen möglichen Ausformungen findet: Im Biss in die biblische Frucht der Erkenntnis, als Eva dem Verlangen in Gestalt der Schlange nachgab und sich damit gegen die göttliche Vernunft entschied, ebenso, wie im Teufelspakt, den Faust einging, um begreifen zu können, was die Welt im Innersten zusammenhält. Übertragen auf den Volksglauben der Region bedeutet das, dass er den Versuch darstellt, sich eben das, was man nicht weiß, deut- und erklärbar zu machen. Auch, um sich im nächsten Schritt überlegen zu können, wie man sich gegen die von der Unwissenheit ausgehende Angst wappnen kann.

Sobald demnach einmal Klarheit herrschte, was die seltsamen Phänomene auslöste, konnte man sich überlegen, wie man sich dagegen schützen konnte, um das eigene Leben mit allen Unwägbarkeiten wenigstens ansatzweise beruhigt bestreiten zu können. Die daraus entstandenen Regeln kennen wir noch heute als Bräuche, die einem simplen Schema folgen: „Tue A und B wird nicht passieren!“ oder umgekehrt. Um demnach beispielsweise der Unsicherheit des neuen Jahres, von dem niemand sagen konnte mit welchen Schicksalsschlägen es aufwarten würde, entgegen treten zu können, konnte an verschiedenen Tagen ein Blick in die Zukunft geworfen werden: Durch das Schütteln eines Apfelbaums am Andreastag, durch das „Schlappenschmeißen“ während der Raunächte oder auch das „Horchen“, bei dem man sich des Nachts auf einen Kreuzweg stellte, mit einem Salzkreis umgab und die Schlag Mitternacht auftauchenden Schreckensgestalten befragte, was das neue Jahr wohl bringen würde. Funktionierte es? Natürlich nicht! Doch allein der Glaube, dass man sich der Zukunft nicht komplett ausliefern musste, sondern eine gewisse Handhabe hatte, um sie möglichst zum Positiven zu beeinflussen, half immens, um sich ihr ein stückweit beruhigter entgegenstellen zu können.

Wer nun meint, dass der Volksglaube heute keinerlei Bewandtnis mehr habe und wir als technisierte, moderne Gesellschaft ihn längst hinter uns gelassen haben, der wird womöglich anders denken, wenn er das nächste Mal eine schwarze Katze sieht, sich eine Prise Salz über die Schulter wirft, auf Holz klopft oder einen ganz einfachen Glücksbringer mit sich führt: All das sind nichts anderes als bis heute erhaltene Ausformungen des volksgläubischen Brauchtums, die uns deutlich vor Augen führen, dass wir tief im Kern noch immer nicht weitergekommen sind, als Faust vor gut 500 Jahren. Nach wie vor suchen wir nach möglichst einfachen Erklärungen für die großen Wunder der uns umgebenden Schöpfung – und wenn wir sie nicht finden, helfen wir eben einfach ein wenig nach. Das ist doch nur menschlich!

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