Bayreuth 3. August 2002 (Teil 2)
Herr Wagner, im ersten Teil dieses Gesprächs unterhielten wir uns über die vielen Probleme, die es mit Sir Georg Solti in Bayreuth gab. Man sprach damals, oder besser, die Schallplattenfirma sprach damals vom‚ Ringdirigenten unserer Zeit. Solti hatte in den 60er Jahren mit den Wiener Philharmonikern und unter Mitwirkung der großen Wagner-Sänger mit u.a. Birgit Nilsson, Wolfgang Windgassen und Gottlob Frick einen Ring für die Schallplatte eingespielt. Die Aufnahme des ganzen Ringes bestand aus einer Menge von Fragmenten, d.h. es wurden nur Teile aufgezeichnet, die zwischen 9 und 13 Minuten lagen. Der komplette Ring entstand durch eine geschickte technische Zusammenstellung am Mischpult. Obschon das Resultat damals ausgezeichnet war, mit hervorragenden Sängern und einem sehr plastischen Klang der Philharmoniker. Glauben Sie, dass man mit der Technik im Mittelpunkt und nur auf Klangeffekte bedacht ‚die Tiefe’ eines Ringes erreichen kann?
Ja, man müsste mal den Schöpfer befragen in dieser Sache. Ich glaube, er hat sehr wohl gewusst, dass das Medium der Guckkastenbühne und des verdeckten Orchesters und überhaupt die Vision, Vorstellungen die er hatte, dass er das schon so bedacht hat. Er hat sich nicht einseitig dann also von vorneherein entschlossen, z.B. aus dem ganzen Ring ein Oratorium zu machen, aber das hat er nicht gemacht. Er war ein Vollblut Theatermensch und ich glaube, man kann deswegen auf eine spezielle Möglichkeit, in dem Fall der rein akkustischen, die Aussage des Ringes nicht schaffen.
Ich will nicht sagen, dass man auf der Bühne in klanglicher Beziehung die Qualität nicht bekommt, aber der lebendige Mensch auf der Bühne und nicht der konservierte Ton, die Konservenmusik, die kann nach meiner Ansicht das nicht bringen.
Wie beurteilen Sie heute Aufnahmen von Wagner-Opern auf CD’s.
Welchen großen Unterschied sehen Sie zwischen Liveaufnahmen und Studio-produktionen?
Ja beides ist gleich problematisch. Wir wissen, dass eine Liveaufnahme auch mit 50 Mikrofonen im Haus gemacht wird wie eine Rundfunkübertragung. Im Grunde genommen ist ja heute der Tonmeister der Dominierende.
Solti oder Karajan sind alle 10 Minuten zum Tonmeister gegangen, um abzuhören. Die haben dann auf einmal etwas gehört, was der Tonmeister gezaubert hat. Da waren sie so fasziniert, aber im lebendigen Theater ist das nicht so. Im lebendigen Theater werden keine kleinen Teile aufgezeichnet, sondern ein Ganzes.
Man darf ja nicht vergessen, Richard Wagner hat fürs Publikum gespielt und nicht nur für Fachleute. Und darüber hinaus ist das Publikum ja nach seiner Ansicht ein wesentlicher Bestandteil und der Träger mit einer Aufführung. Wir haben ja hier ein Amphitheater. Da sitzt man ja genau gegenüber den Dingen und erlebt die in sich. Ich hoffe, dass eben trotz dieser ganzen Möglichkeiten der Technik, der Klangveränderungen und der Klangfindungen irgendwie doch der Originalklang mit originalen Menschen als totale Aussage bleiben wird.
In den letzten Jahren wurden neben Schallplattenaufnahmen sämtliche in Bayreuth aufgeführten Werke auch mit den Videokameras aufgezeichnet und auf LaserDisk und Videokassetten vertrieben, heute auf DVD’s. Es handelt sich hier immer um live-Aufnahmen die im Festspielhaus aufgezeichnet wurden.
Ich muss betonen, dass wir diese Aufzeichnungen nicht während einer Festspiel-Aufführung machen. Wir haben versucht, eine gewisse Dramaturgie aufzubauen, indem man sagt, wo sind die wesentlichen Unterschiede zwischen einer optischen Videosache und einer Theateraufführung. Diese beiden Medien sind ja das konträrste, was es ja überhaupt gibt. Im Großen und Ganzen lebt das Theater von der Guckkastenbühne, in der der Mensch der Maßstab ist, mit der Dekoration.
Es ist so, man muss eine Lösung finden, dass der Mensch im Maßstab steht, der beherrschend ist und die Aussage hat. Alles, was drumherum ist, Dekoration usw ist nicht das Wichtigste.
Mein Großvater hat ja nach den ersten Erfahrungen gesagt: „Man kann kein Abbild, sondern ein Sinnbild aus der Natur darstellen, Bühne ist nicht Natur“.
Außerdem ist die Sprache durch den Gesang so in sich gefestigt und stilisiert und vom Rhythmus und der Melodie bestimmt zum Unterschied von der normalen Sprache. Es ist ein Medium, das sehr artifiziell ist. Und die Raumerfüllung kann man eben beim Fernsehen nicht bekommen in der Art.
Wir haben da vor allen Dingen etwas entwickelt durch eingehende Vorarbeit. Es wird meistens mit sechs Kameras gearbeitet, die zum Teil auch fahrbar sind. Mit unterschiedlichen Perspektiven wurde so gearbeitet aber ausschließlich vom Zuschauerraum aus. Die paar Versuche mit Kameras auf der Bühne sind alle gescheitert. Es ist immer wichtig, gewisse Anteile der Dekoration so mit zu erfassen, dass man weiß wie die Spannungsverhältnisse sind. Eine Totale kann man nur ganz kurz zeigen. So konnten wir, nach meiner Ansicht, die Aufzeichnungen aussagestark realisieren.
Fortsetzung im nächsten Kulturbrief