Tonbandgespräche mit Wolfgang Wagner
von Raymond Tholl
Bayreuth 14. August 1999 (Teil 5)
Herr Wagner, wir erlebten gestern im Festspielhaus Lohengrin in der vierten Aufführung dieses Jahres. Sie inszenierten Lohengrin zweimal: 1953 und 54 und von 1967 bis 1972 mit 41 Aufführungen. In der Neuinszenierung des Briten Keith Warner erleben wir Lohengrin als eine düstere Erzählung von Liebe und Leid. In der Kritik war zu lesen: „Keith Warner zeichnete Wagners wohl beliebteste Oper als ewigen Kampf zwischen spiritueller und irdischer Welt und zugleich als Drama um zwei große Frauengestalten“. Herr Wagner, ich selbst habe Ihre Inszenierungen leider nicht erlebt. Es würde mich interessieren, wie Sie das Werk Ihres Großvaters damals gestaltet haben.
… das ist hinterher eine sehr schwer zu beanwortende Frage. Also, was ich damals versuchte, war von Ideen und Vorstellungen behaftet die ich also heute nicht mehr habe. Mein Großvater sagte ja sowieso, dass es an sich die größte Tragödie menschlicher Art ist, die er geschrieben hat und zwar durch die Ausweglosigkeit. Damals war es für mich nicht möglich, soweit zu gehen und darüber nachzudenken, dass an sich die Gralswelt, sowohl wie sie Richard Wagner im Lohengrin und im Parsifal darstellt, sehr grausam ist. Sehr grausam und zwar deswegen, weil sie vorstellungsmässig auf eine Idee-Ebene gehoben wird. Diese Ebene ist aber reine Idee, kann aber nicht praktiziert werden durch die Exklusivität, die der Gral von sich verlangt… eben das Frageverbot. In der Deutlichkeit habe ich das damals noch nicht erkannt. Es kam erst nach den zwei Parsifal-Inszenierungen, die ich gemacht habe.
Richard Wagner sagte z.B. über den Lohengrin, dass er nicht in den Chören die Ausdrucksmöglichkeit sehe, um menschliches Schicksal darzustellen, sondern immer mehr im Orchester. Als ich mich damals am Lohengrin versucht habe, dachte ich immer an das, was mein Großvater auch Freunden gegenüber zum Ausdruck brachte, dass das Werk eine gewisse Hoffnungslosigkeit hat, wie es ausgeht. Danach hat er trotz allem auch immer wieder positivistische utopische Schlüsse realisiert, ob es jetzt der Parsifal ist oder die Götterdämmerung, ein gewisser utopischer Optimismus. Aber der Lohengrin hatte einen negativen Schluss, und all diese Überlegungen habe ich mir damals noch nicht gemacht. Dazu war ich in der Form noch nicht in der Lage.
Betrachte ich die Besetzungslisten Ihrer Lohengrin-Inszenierung, sehe ich in der Titelrolle u.a. Namen wie Wolfgang Windgassen, James King, Jess Thomas oder René Kollo, grandiose Interpreten dieser Rolle. Hier in Bayreuth gibt es ja immer wieder Sänger, die das Glück haben, auf eine größere Rolle vorbereitet zu werden. An wen denken Sie momentan?
Ja, das ist Alan Titus, der hat jetzt im zweiten Jahr den Holländer gesungen. Der Holländer ist ja auch eine große musikdramatische Aufgabe. Dass er jetzt den Wotan in der neuen Ring-Inszenierung singen wird, er hat eben die Vorkenntnisse des Hauses und das ist also für die Gesamtarbeit und künstlerische Anpassung von außerordentlicher Bedeutung.
Herr Wagner, was können Sie oder was dürfen Sie uns über diesen neuen Ring erzählen, der in der Regie von Jürgen Flimm mit Giuseppe Sinopoli am Dirigentenpult mit großer Spannung erwartet wird?
Ja das ist schwierig. Die Spannung ist so groß, dass auch Erich Wonder als Bühnenbildner mit dem Werk noch sehr intensiv beschäftigt ist. Es gibt eine Grundkonzeption, die aber jetzt in allernächster Zeit jene Reife erreichen wird und muss, dass wir damit in die Produktion gehen können. Die Besetzung ist so gut wie abgeschlossen. Und sobald wir die letzten Partien haben, werden wir die gesamten Rollen bekannt geben. Es sind einzelne bekannt, es wird auch darüber gesprochen, aber nach Bayreuther Sitte haben wir immer gerne das Paket im Ganzen geschnürt und zwar deswegen, weil ja bei Wagner jede Rolle, wenn sie auch noch so klein ist, von besonderer Bedeutung ist.
Darüber hinaus ist hier in unserer Arbeitsgemeinschaft der Bühnenarbeiter zwar nicht so wichtig wie der Siegfried, weil es mehr Bühnenarbeiter gibt wie Siegfriede, das ist logisch. Aber bei uns ist halt jeder wichtig, der eine Position einnimmt im Schaffen der Gesamtinszenierung und im Gesamten, was in Bayreuth produziert wird. Diese Bedeutung ist gleichzusetzen mit einem Uhrwerk, wo ein Zahnrad in das andere hineingreift.
Ich möchte noch einmal in der Geschichte der Festspiele einige Jahre zurückgehen, um eine Sängerpersönlichkeit zu erwähnen, die zwischen 1981 und 1993 auf dem Hügel mit viel Erfolg gewirkt hat: Manfred Schenk. Mit ihm verbinden sich auch Erinnerungen an Ihre Meistersinger-Inszenierung. Manfred Schenk sang die Rolle des Pogner von 1981 bis 1988, er war der Gurnemanz in Parsifal, der Fasolt in Rheingold.Er sang einen herrlichen König Heinrich in Lohengrin und den Landgraf in Tannhäuser. Leider musste dieser Sänger seine Laufbahn nach einem Schlaganfall abbrechen.
Schenk war in sich geschlossen, ganz egal, ob er Hagen sang oder sonst eine Rolle. Er war eine eigenständige Persönlichkeit, die sich innerhalb des ganzen Ensembles durch seine Art und durch sein Können immer an das anpassen konnte, was innerhalb der dramatischen Kontrapunkte notwendig war. Dabei war er immer gleichmässig stark durch sein stimmliches Können und durch seine souveräne Ruhe, möcht’ ich sagen. Die Ausgewogenheit dieses Sängers war eben etwas ganz besonderes und was beglückendes. Wir wissen, die Sänger sind mitunter sehr unterschiedlich, auch bei den unterschiedlichen Partien, aber Manfred Schenk konnte immer etwas bringen, was ihm gemäss war und deswegen auch sehr ausdrucksstark.
Sehr geehrter Herr Wagner, ich bedanke mich für das Gespräch und wünsche Ihnen die Kraft, die Sie benötigen, um diese Festspiele im Sinne Ihres Großvaters weiterzuleiten.
Ich danke Ihnen, dass Sie mir die Möglichkeit gegeben haben, wie immer, wenn wir beide zusammensitzen, über Dinge zu sprechen, die über einem normalen Interview stehen, was meistens in Schnelle und Eile immer vonstatten geht, und was immer nur punktuelle Fragen anschneidet. Ich glaube, hier haben wir doch etwas Totaleres, Gesamtes, Abgerundetes, wie ich es praktisch ins Leben bringen muss. Darum freue ich mich immer wieder, wenn ich die Gelegenheit habe, hier bei Ihnen zu sprechen.