5. Juli.
Für heute Abend war bestimmt, den 2. Akt der Götterdämmerung vor vollem Auditorium aufzuführen, um die Akustik des Hauses zu prüfen. Der Verwaltungsrat hatte angeordnet, ein Eintrittsgeld von 3 Mark zu erheben. Am Sonnabend (den 22. Juli) war die Nachricht bekannt gegeben wurde, gestern morgen um 81/2 Uhr waren die Plätze vergriffen! Wie die Bayreuther Zeitung berichtet, haben Fremde, die in Menge schleunigst herbei geeilt waren, bis 27 Mark Aufgeld für eine Platz bezahlt. Viele mussten enttäuscht wieder abziehen. Wagner erschien im Theater, bald darauf auf der Bühne, von einem rauschenden Beifallssturm begrüßt.
26. Juli.
Heute hatten wir die letzte Probe 3. Akt Götterdämmerung. Schlußdekoration noch nicht fertig. Siegfried soll und muß auf dem Wege zum Scheiterhaufen abgesetzt werden, unsichtbar verschwinden, dafür soll eine Puppe, Siegfried darstellend, auf die Bahre gelegt werden. Statt daß sich nun nach Wagners Willen der Kondukt direkt nach dem Scheiterhaufen bewegen sollte, ordnete Brandt1an, daß er im Bogen nach rechts gehen und dort die Verwechslung statt finden sollte. Wagner fuhr mir an den Hals. Ich schrie ihn an wie noch nie: „Meister, ich möchte Ihren Wünschen gern gerecht werden, sagen Sie mir nur wie!“ Darauf wandte ich mich an Brandt: „Herr Brandt, wollen Sie nun Ihr Veto einlegen, ich bin hier am Ende meiner Kunst.“ Brandt zuckte mit den Achseln und ging davon. Die ganze Scene wurde nun so gemacht wie er wollte, und man sah deutlich die Verwechslung mit der Puppe, obgleich die Mannen und das Personal möglichst den Vorgang zu verdecken suchten. Ich war vollkommen außer mir, mit Wagner war nicht mehr zu sprechen. In Schweiß gebadet, suchte ich fortzukommen. Es war der qualvollste Tag, den ich erlebte. Alle, welche auf der Bühne zu tun hatten und auch nicht das erste Mal darauf standen, hatten solch eine Probe noch nicht erlebt.
27. Juli.
Heuet morgen mußte ich – ich konnte darüber nicht wegkommen – an Wagner schreiben. Der Brief lautete: „Verehrter Meister! Nach der gestrigen Probe erscheint es mir unumgänglich nöthig, die Schwierigkeiten noch einmal aufs genauste zu besprechen, welche sich uns in der szenischen Ausführung entgegenstellten. Ich hielt Herrn Brandt von allem Anfang an für den Hauptfaktor, dem wir uns bis zu einem gewissen Grade unterzuordnen haben, behaupte aber, daß eine Grenze gezogen werden muß, wenn die letzte Scene (Götterdämmerung: Ende gut, Alles gut) nicht ganz kläglich ausgehen soll. Wie Sie die Leiche des Siegfried zum Scheiterhaufen gebracht wissen wollen und woran nichts zu ändern sein dürfte, so geht es nach Brandt’s Aufstellung der Gibichungen-Halle nicht. Ich rief Herrn Brandt zu, er möge hier sein Veto einlegen, er zuckte die Achseln und wich mir aus. Es war eine Situation, welche kaum gedacht werden kann. Nicht verschweigen kann ich, daß mir der Einsturz der der beiden Säulen in der Gibichungen-Halle wie ein ganz gewöhnlicher Theatereffekt auf kleinen Bühnen vorkommen; daß die Steine in der 1. Scene (des 3. Aktes Götterdämmerung), solange sie nicht als Sitze dienen sollten, wohl zu acceptiren, im anderen Falle sinken sie, auffällig sichtbar für alle im Publikum, zu Sofakissen herab. Das Scheittragen der Mannen ist lächerlich! Die Betreffenden sollen die Scheite bringen und auflegen. – Herr Brandt verlangt, zugleich, sie sollen auch wieder fort getragen (unsichtbar für den Beschauer) und wieder gebracht werden! Der Auftritt der Mannen mit Siegfrieds Leiche kommt von rechts, die Masse der Menschen kann kaum zum Zug aufgestellt werden und wird vor seinem Erscheinen garnicht gedeckt. Sämmtlicher Dekorationsapparat, welcher sich nach der Verwandlung nach rechts gehäuft hat, macht es unmöglich – kein Mensch kann durch – und mache den Vorschlag, den ganzen Auftritt nach links zu verlegen. Da wir den Rhein vor uns haben, sehe ich nicht ein warum das nicht sein könnte, auf der linken Seite ist alles frei.
In Ergebenheit Richard Fricke“
Auszug aus: „Bayreuth vor dreissig Jahren“. Aus dem Tagebuch von Richard Fricke (1818-1903). Richard Fricke war herzoglicher Ballettmeister am Hoftheater Dessau. Wagner war von der Arbeit Frickes so angetan, daß er ihn ab 1875 nicht nur als Choreograph für Szenen im Rheingold engagierte, sondern als „wirklich plastischen Choreographen, der meine Wünsche den Darstellern durch das Beispiel der Ausführung zu verdeutlichen weiß…ich gebrauche keinen Regisseur…Sie müssen mir Alles sein!“. Fricke wurde bei den ersten Festspielen 1876 ein unersetzlicher Mitarbeiter, der auch 1882 beim „Parsifal“ mit von der Partie war.