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Neue starke Akzente. Der fliegende Holländer im Bayreuther Festspielsommer 2022

AllgemeinNeue starke Akzente. Der fliegende Holländer im Bayreuther Festspielsommer 2022

Er fliegt wieder: der Holländer, doch diesmal mit anderem Personal.

2021 hatte sie Premiere: die umstrittene, weil das Stück (angeblich) unzulässig überschreibende Holländer-Inszenierung Dmitri Tscherniakows. Damals begeisterte die junge Asmik Grigorian mit einer schier überbordenden, das Publikum rockenden Vokal- und Schauspiel-Performance, diesmal ist es Elisabeth Teige, die die Senta bringt. Damit ändert sich auch ein wenig die Inszenierung selbst, denn Frau Teige spielt und singt – nomen est omen – eine weichere, dunkel gefärbtere, weniger aggressive junge Frau, die doch nicht weniger authentisch ist. 2021 stand mit John Lundgren ein unheimlicher, freilich stimmlich nicht vollkommener Holländer auf der Bühne, der der „untoten“ Gestalt eine unheimlich dumpfe, zwischendurch auch sympathische Kontur verlieh. Nun ist Thomas J. Mayer der Holländer, der mit seiner bassbaritonal fokussierten Stimme Stärke ausstrahlt, ohne forcieren zu müssen. Dieser „H.“ ist ein Kraftkerl sondergleichen, der sein Schicksal wesentlich aktiver und gefährlicher in die Hand nimmt als der Bayreuther Holländer des Jahres 2021. Mit einem Wort: Thomas J. Mayer singt einen Holländer wie aus dem akustischen Bilderbuch des großen, modernen Wagner-Gesangs. Bleibt die Mary der Nadine Weissmann: Im Gegensatz zur vorjährigen Mary, also Marina Prudenskaya, verkörpert sie ein robusteres, vor allem stimmlich ältlicheres Bild der Frau, die die Regie zur Mutter Sentas macht.

Drei von sechs Rollen, von denen 4 Haupt- und zwei wichtigste Nebenrollen sind: natürlich verändert sich eine Inszenierung tendenziell mit den Protagonisten, die die Arbeit mache müssen. Sie hat sich durch die neue Besetzung nicht zum Schlechteren verändert, im Gegenteil: wenn Mayer und Georg Zeppenfeld, der Daland dieses bejubelten Abends, duettieren und Elisabeth Teige und der neue Holländer aufeinander stoßen, gewinnt die Geschichte an halb komödiantischer, halb dunkler Tiefe. Was gleich blieb, ist die phänomenale Bühnentechnik; wieder fahren die Versatzbauten eines sachlich strukturierten Orts am Meer wie von Zauberhand geführt über die Bühne des Festspielhauses. Wieder hat Gleb Filishtinsky, ein Meister seines Fachs, die Szene in ein warmes, goldenes Licht getaucht, das während der bebilderten, hinter dem durchsichtigen Vorhang sich abspielenden Vorgeschichte, dem „Traum“ des H., die Feuer ankündigt, die im Schlussbild die Zerstörung einer Hoffnung vollenden. Attilio Glaser scheint sich als Steuermann in seiner stimmlichen Schönheit noch gesteigert zu haben, und wieder singt Eric Cutler den Erik: nicht als Schlappschwanz, sondern als um seine Liebe kämpfenden und fantasievollen, sich den „Traum“ ausdenkenden Tenors aus der ersten Reihe. Im Ton ist er ein wenig (wen wundert‘s?) lagrimoso gestimmt, doch in aller Verzweiflung an der jungen Frau beharrt er auf einem Selbstbewusstsein, dass an den Irrationalismen scheitern muss, die zwischen dem Fremden, der doch einst ein Mitglied der Stadt war, und der sich gerade emanzipierenden Senta entsteht. Apropos Emanzipation: Im exzellenten Programmbuch, das dem letztjährigen an informativer Tiefe bezüglich der geistesgeschichtlichen Hintergründe der Handlung, die zwischen dem Vampir-Mythos und den Beziehungsgeschichten á la 1840 changiert, nicht nachsteht, im neuen Programmbuch erzählt Irina Savkina die Geschichte von Alexander Herzen (mit dem Wagner bekannt war) und seiner Frau Natalja als eine Geschichte einer doppelseitig gescheiterten Emanzipation aus den Banden konventioneller männlicher Ideologien. Die von Savkina gestellte Frage bleibt offen, ob der Tod für den Versuch gerechtfertigt ist, als Frau man selbst zu sein – die Inszenierung beantwortet sie mit einer radikalen Aktion, also Marys finalem Schuss, die den Holländer tot und Senta als Witwe zurück lässt. Eine seltsame Art von „Erlösung“, aber gibt es angesichts des unheilbar traumatisierten Mannes namens H. eine bessere?

Im Graben des Festspielhauses aber steht mit Oksana Lyniv eine Powerfrau, die aus der jugendfrischen Partitur Richard Wagners Kraftvollstes herausholt. Selbst im Bayreuther Mischklang werden die Stimmen freigelegt, tost der Sturm mit der Farbpracht der Einzelinstrumente, wird der Orkan und die lyrische Insel deutlich zusammengehalten. Vom Bayreuther Festspielchor des Jahres 2022 muss man im Prinzip nicht neu reden: er tönt wie immer überwältigend in den Raum. Wagners Tragödien klingen eben, nicht zuletzt dank der glänzenden, das Werk wieder einmal etwas anders akzentuierenden Neubesetzungen, sehr sehr schön.

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