Das Allerschönste an einer Ferienwohnung ist das kleine Bücherregal, in dem die Hinterlassenschaften der Abgereisten neuer Leserschaft harren. Bei der ersten zaghaften Annäherung drängen sich die Lokalkrimis und ewigen Bestseller auf und zu gern gibt man sich dem Pulp hin, schließlich ist man im Urlaub. Aber was ist das? Ganz hinten in der dritten Reihe blitzt ein Titel auf, der das Interesse weckt. „Als das Reisen noch geholfen hat“? Nanu. Klingt gut. Das Erstbeste weggelegt und nach dem Besseren gegriffen. Martin Mosebach. Ein herausragender Autor, so viel ist bekannt, das Buch hingegen kenne ich nicht. Reisen, da klingelt es im Oberstübchen. Reisen, das war einmal: Abenteuer, Lust auf das Unbekannte, sich Zeit nehmen und die Welt aus anderen Augen betrachten. Wenn jemand eine Reise tut, so kann er was erzählen. Und jetzt? Ist die Reise zum Zweck verkommen. Möglichst unkompliziert das Urlaubsziel erreichen, zwei Wochen nichts tun, Rückreise. Das ist Reise heute. Geht es in diesem Buch darum? Unter anderem. Schlägt man es auf, wird man an viele Orte entführt. Der Lesende bereist Städte wie Frankfurt und Länder wie Indien ebenso wie Gedankenwege des Autors über das Schreiben, die Herkunft der Kultur und Fußball. Es ist ein intellektueller Ausflug in kürzeren und längeren Etappen, der berauschend wirkt. Die Erzählkunst, das Fabulieren und die präzise Sprache Mosebachs sind überwältigend. In der Geschichte über einen indischen Politiker ist man so nah dran, dass einem die Gerüche der Straßen Delhis förmlich in die Nase steigen. Heimito von Doderer beim Bogenschießen zu begleiten und dabei tief in die Denkweise dieses Ausnahmetalents einzutauchen, ist die reinste Freude. Und natürlich wäre es generell besser, wenn Gebäude in Zukunft mit natürlich vor Ort vorkommenden Materialien gebaut würden. Klingt unübersichtlich? Das ist es auch. Denn dieses Buch will entdeckt werden, der Reisende schlägt das Buch immer wieder an anderer Stelle auf und merkt langsam, wie auch ihm die Reise hilft. An allen Gedankendestinationen verbindet Mosebach seine Überlegungen zum Gewesenen mit einem Ausblick auf Kommendes. Und die feine Art dieser Verknüpfung führt zu einem wohligen Verständnis: Erstens kommt alles anders und zweitens, als man denkt. Nach der Lektüre lehnt man sich in dem angenehmen Bewusstsein zurück, endlich mal wieder etwas wirklich Wertvolles gelesen zu haben. Wieder daheim musste ich leider feststellen, dass dieses Buch vergriffen ist und ich zu den Abgereisten gehöre.