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Freitag, 29. März 24

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Kunst und Schönheit: Tristan und Isolde bei den Bayreuther Festspielen

Bayreuther FestspieleKunst und Schönheit: Tristan und Isolde bei den Bayreuther Festspielen

Tristan und Isolde ist zweifellos Wagners symphonischste und philosophischste Oper. Die Beobachtung steht nicht quer zur Meinung etlicher Musikfreunde und -wissenschaftler, dass es vollkommen egal sei, was Tristan und Isolde, zumal in ihrem großen Gespräch im zweiten Aufzug, genau sängen. Es komme ja nicht auf die Worte, sondern den symphonischen Rausch an. Es passte also sehr gut, dass Catherine Foster in der weiblichen Titelrolle Sätze sang, die nur sehr bruchstückhaft zu verstehen waren. Wer den Text nicht kannte, wird sich gefragt haben, was die Beiden im vielleicht monumentalsten Duett der Operngeschichte zu verhandeln haben. Machte es was aus, da doch Wagner, in einem vielzitierten Wort der Festspiele des Jahres 1876, seine Festspielkünstler um äußerste Deutlichkeit bat?

Im Grunde machte es nichts aus. Tristan ist ja, selbst in der relativ zurückhaltenden orchestralen Deutung dieses Festspielsommers, tatsächlich über weite Strecken eine Orchestersymphonie mit integrierten Singstimmen, und Fosters großes Organ klingt einfach souverän in den Raum: als Vokaliseninstrument. Was sich eine Brünnhilde im Musikdrama des Nibelungenring nicht leisten kann, ist im Tristan in erstaunlich vielen Szenen tatsächlich erlaubt: reinen Schönklang mit lyrischem und dramatischem Hoch- und Tiefgang zu servieren. Ganz anders die Situation bei Stephen Gould: seine Textverständlichkeit lässt nichts zu wünschen übrig. Er gestaltet die Monsterpartie an diesem Abend mit Energie, lyrischem Schmelz und ohne Übertreibung, doch mit dramatischer Inbrunst, bis ihn, zur „Handlung“ (verstanden in beiderlei Sinn) passend, die vokalen Kräfte denn doch ein wenig verlassen. Die Situation erinnert ein bisschen an Wagners Eigeninterpretation des Tannhäuser: der Sänger, so der Komponist, der im dritten Akt mit der bloßen Physis zu kämpfen hat, macht die Sache genau richtig, da Tannhäuser an dieser Stelle der Tragödie eben kein strahlender, präpotenter Sängerheld mehr sei. Mit Tristan verhält es sich ähnlich, außerdem ist ein Sänger keine Maschine. Dass Gould, wie seine Partnerin, am Ende Beifallsstürme erntet, ist angesichts der gesamten Gestaltung der Partie nur verständlich. Dazwischen, nach dem ersten, zweiten und noch dem dritten Akt, erklingen die inzwischen obligatorischen paar Buhrufe. Nur die Rufer wissen, warum, auch wenn Markus Poschners Dirigat sich meilenweit von dem zwischen höchster Spannung und bewusster Entspannung angelegtenTristan Christian Thielemanns unterscheidet, den manch Festspielbesucher noch im Ohr haben könnte.

Der Orchester-Tristan will, scheint‘s, zu Beginn noch nicht recht in die Gänge des Sehnsuchtsrauschs kommen. Man begreift erst viel später, dass das elend lang gezogene Vorspiel, das sich unter dem Dirigenten Markus Poschner wie Kaugummi zieht, vermutlich Programm ist. Man muss das nicht mögen, spannende Trisoldes hören sich auch in Bayreuth, in dem der Orchestergraben dynamische Extremspitzen und den Differenzklang verhindert, anders an, aber sieht man die Inszenierung, hört man zugleich das Licht, indem man erstaunliche Interferenzen zwischen Bühnenarchitektur, Gestik und Klang wahrnimmt. Denn der Regisseur Markus Schwab hat es nicht darauf abgesehen, die bekannten Tristan-und-Isolde-Exzesse auszuspielen, sondern den buddhistischen Weg zu gehen; der Buddhismus ist, man sollte das wissen, neben dem Epos Gottfrieds von Straßburg und dem frühbarocken Ehren-Pathos eines Calderón eine der Haupt-Quellen für die sehr spezielle Konzeption der Handlung in drei Aufzügen gewesen. Also klingen einige der besonders lyrischen Stellen der Partitur an diesem Abend noch lyrischer, verhaltener, balsamischer als sonst; man sollte das nicht geringschätzen. Wenn sich die beiden Liebenden treffen, fallen sie sich nicht (wer würde das heute noch ernsthaft erwarten?), die Musik verdoppelnd, exaltiert in die Arme, sondern bereiten sich, weiß gewandet wie Erleuchtungsjünger, auf einen Lehrdialog, Meditationsstufe 3, vor. Sie diskutieren also über den Gegensatz von Tag und Nacht, Tod und Leben, falscher Existenz und richtigem Aufgehen in das Nichts, die Nacht, das wahre Leben des Todes. Der Rausch der Musik wird konterkariert, aber – Schwab hat das sehr fein inszeniert – nicht gebrochen, auch nicht widerlegt. Es ist schlichtweg wunderbar, wie sich die Sphären der Musik und der ins Rationale übersetzten Gestik und die Szene ergänzen. Schwab braucht nicht die Tagesgespenster einer angeblich abgrundtief bösen „Gesellschaft“, die es bei Wagner, liest man nur den Text, nicht gibt. Tristan muss sich nicht in Melots Schwert stürzen, um sich eine Wunde zuzufügen. Es ist „nur“ einer der Licht-Stalaktiten, der sich bedrohlich nach unten bewegt, direkt auf Tristan zielend, der zitternd, aber bereit, den Tod durch das Licht des Tages empfängt.

So humanisiert Schwab endlich den Tristan, nach den letzten beiden Bayreuther Inszenierungen, die zum einen öd und leer (der Fall Marthaler), zum anderen öd und denunzierend (der Fall Wagner) waren. Wir sehen also endlich auf einen traurigen, durchaus nicht schäbigen Gangster-König, dem Georg Zeppenfeld zum wiederholten Mal sein kostbares Organ zur Verfügung stellt. Wir erblicken in Melot keinen bösen Höfling, sondern einen eifersüchtig Gekränkten, der selbst unter der Situation leidet, die sein Eingreifen in die Handlung provoziert hat; Olafur Sigurdarson macht das so, dass man begreift, dass der Freund wirklich einmal ein Freund und nicht schon immer ein Verräter war. Tristans Freund Kurwenal ist eben das, ein Freund, wenn Markus Eiche ihn so singt, wie Wagner ihn angelegt hat: am Ende mitfühlend auch mit Isolde. Isoldes vertraute Freundin ist dies auch: anteilnehmend, leidend wie die, der sie zugesellt ist. Es ist ja schon wunderbar, Ekaterina Gubanova an Isolde buchstäblich hängen zu sehen, wenn diese sich entschließt, den Trank zu trinken, der sie ins Nirwana führen soll. Auch Herumliegen will gelernt sein, wenn Brangäne das macht, ist es eine wohlinszenierte Pose, die Ästhetik und Ausdruck ineins setzt, oder, wie meine Freundin in diesen Momenten zu sagen pflegt: „Kunst und Schönheit“. Und wörtlich verstehen kann man den vornehmen Sopran fast in jedem Augenblick.

Schwabs Langzeitpartner Piero Vinciguerra, ein Spezialist für große, zugleich reale wie hintersinnige Architekturen, hat einen von Nicol Hungsberg ausgeleuchteten Bühnenraum entworfen, in dem Wagners Kunst der feinsten Übergänge (das Programmheft zitiert den berühmten Brief an Mathilde Wesendonk, in dem der Komponist seine musikalische Technik erläuterte) zum bewegten Bild wird. Die Tatsache, dass sich Tristan und Isolde aus dem Wüten des lichten Tages in das „Wunderreich der Nacht“ zurückziehen wollen, wird fantasmagorisch gespiegelt, die Wolken des weißblauen Himmels, unter dem im Jahre 1865 das Werk uraufgeführt wurde, ziehen ruhig über das Firmament, das durch eine riesige Öffnung sichtbar wird. Die LED-Fläche im unteren Geschoss zeigt Wasser, das sich blutig einfärbt, wenn Isolde ihre Geschichte erzählt, die Wolken werden in ein sinistres Schwarzweiß getaucht, bevor Tristan und Isolde sich zu den letzten Takten des ersten Aufzugs über einem immer wilder werdenden Strudel zu retten und zu berühren versuchen, was, nebenbei, grandios zur Musik passt. Der sich bewegende Sternenhimmel des zweiten Aufzugs (als säßen wir in einem Raumschiff) findet unten seine Entsprechung. Tristan agiert fast zuletzt auf einem grellen Lichtboden, zwischendurch steht er auf einem schwarzen, von Weiß umgebenden Kreis. Das alles ist einfach gedacht und zugleich beeindruckend gemacht; der Symbolismus, dem dieses Wagner-Werk besonders verhaftet ist, bietet zugleich einen Spielraum, in dem das Licht und die Dunkelheit eine Hauptrolle spielen: bedeutend poetischer als in Christoph Marthalers Inszenierung, die mit ihren flackernden Lichtringen den Theaterabend und Bühnenraum veröden ließ, auch besser als in Katharina Wagners Aufführung, in der  der  zweite Akt schon von Anfang an in das dramaturgisch unsinnige Blendlicht der Tagesgespenster getaucht und am Ende eine ermüdende Reihe von Lichträumen mit falschen Isolden gezeigt wurde. Schwab lässt, das mag auch an den Produktionsbedingungen gelegen haben, den Tristan in einem Einheitsbühnenbild spielen, aber es wird von Akt zu Akt verändert. Friedrich Dieckmann, einer der klügsten Bayreuth-Beobachter der letzten Jahrzehnte, sprach einst vom Fluch des Einheitsbühnenbilds, manchmal aber gelingt es.

Und die „Erlösung“? Schwab sprach von der Utopie, die er in seine Deutung integrieren wolle, so dass am Ende nicht die Verzweiflung, sondern die „Ursehnsucht“ steht. Sehen wir zum Vorspiel ein junges Mädchen und einen Jungen in zarter Umschlingung, so erblicken wir im zweiten Akt im ersten Stock einen jungen Mann und eine junge Frau. Schließlich tritt, zu Isoldes „Liebesverklärung“, ein Greisenpaar auf die Szene, es ist das Letzte (und durchaus bewegend), was wir während der Schlusstakte vor dem leicht durchsichtigen Zwischenvorhang auf der Vorderbühne wahrnehmen. Philemon und Baucis, 100 Jahre alt, zusammen glücklich geworden und noch in höchstem Alter vereint wie Tristan und Isolde, über deren Gräbern sich nach mittelalterlicher Überlieferung die ansonsten unvereinbaren Ranken von Wein und Rose vereinigen. Auch das ist Mythos: wenn sich Sehnsuchtsträume mit uralten Fabeln treffen.

Kurz und gut: Die Neuinszenierung ist der erste Tristan seit sage und schreibe 25 Jahren, also nach Heiner Müllers und Erich Wonders ingeniöser Produktion, in der nicht trotz, sondern in der Konzeption die Menschen sichtbar werden, um die es hier geht. Es wäre also sehr schade, wenn der neue Bayreuther Tristan nur als Ersatz-Tristan mit begrenzter Laufzeit gehandelt würde. Nach dem sterilen Marthaler-Tristan und Katharina Wagners konzeptionell meist verhauener und böser Deutung ist der 2022er-Tristan ein wahres Labsal an dramatisch-gestischer Durcharbeitung, ästhetischer Kraft und Vollkommenheit und kluger gestischer Zurückhaltung: bei aller Bewegung, die stets aus der Musik heraus motiviert wird. Insofern ist es vielleicht wirklich völlig egal, ob man jedes Wort versteht.

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