Die Studiobühne Bayreuth spielt Romeo und Julia in der Eremitage
Seltsam: Obwohl Romeo und Julia zu „Shakespeares“, also Edward de Veres „Tragödien“ zählt, dürfte das Stück zu den beliebtesten Freilichtstücken gehören. Kein Wunder: Kämpfe, Messerstechereien und Partys, eine berühmte sommerliche Balkonszene, die bekannten Derbheiten des Texts und fast aller Protagonisten sind zweifellos das, was man „publikumswirksam“ nennt, die sog. Bombenrollen eines plays, die man selbst dann kennt, wenn man das Stück nicht kennt, sind einschlägig bekannt. Die Inszenierung, die die Studiobühne Bayreuth in das Sommertheater der Eremitage, also das Römische Theater, geschickt hat, macht da keine Ausnahme. Sie spekuliert zurecht auf die Akzeptanz einer Zuschauerschaft, die an einem lauen Sommerabend an „Shakespeares“ genialem Reißer sein Vergnügen hat.
Nur funktioniert die Rechnung leider nicht über die gesamte Strecke. Romeo und Juli ist, man merkt’s, je länger der Abend dauert – und er dauert – recht eigentlich ein Kammerspiel. Stirbt Mercutio, der sprachgewaltige Freund des Titelhelden, kommt ein neuer, nun tatsächlich „tragischer“ Ton und eine Intimität ins Spiel, die nur dann auf die Freilichtbühne passt, wenn sie uns nah ist. Der Abend, der mit über zweieinhalb Spielstunden lang, sehr lang ist, zieht sich am Ende hin; schade um die Spieler, die ihre Figuren konturiert und liebevoll anlegen. Zentrale Szenen werden auf der Hinterbühne, nicht auf oder vor der Treppe angelegt, die so etwas wie einen Laufsteg andeutet (zu Beginn der Party bei den Capulets paradieren die Gäste denn auch wie bei einem catwalk). Akustisch verschwindet da manches, nicht allein beim Mönch, der das Titelpaar heimlich traut. Es herrscht eine etwas unentschiedene Mixtur aus Verfremdung und klassischem Bühnenrealismus; die Kämpfe zwischen den Dienern der verfeindeten Häuser werden – Fabian Dörnhöfer markiert da gleich drei Figuren – nur angedeutet, die Kostüme sind sämtlichst fantastisch, nur Romeo tritt in einem bewusst öden Habit auf, aber frau kann sich ja auch in einen jungen Mann verlieben, wenn er ein weißes Hemd, einen grauen Schlips und eine schlichte Hose trägt, die Schultern hängen lässt – und während der Balkonszene so versonnen lächelt wie Stefan Schneller es an diesem Abend tut. Schneller hat Regie geführt, er springt ein, um die Aufführung zu retten, was mehr als ehrenhaft gelingt. Die 14jährige Julia wird von Jael Gallert tatsächlich als sehr junge Frau gebracht, was der Interpretation eine Authentizität verleiht, die näher an „Shakespeares“ Welt dran ist als eine Staatstheater-Aufführung mit ausgebildeter Schauspielerin. Nach der Vermählung gibt es einen Tanz, der für einige Längen des zweiten Teils entschädigt, während hinten die verfeindeten Familien sich in einem kurzen Traumbild erotisch vereinigen: das sind so hübsche Läuse der Regie, wie Heiner Müller das genannt hätte.
Glänzend: Alex Leschinsky als flamboyanter Mercutio. Nicht nur die Queen-Mab-Arie gelingt bravourös. Glänzend und gleichzeitig derb auch die ausgespielten Obszönitäten, die in Thomas Braschs neudeutscher Übersetzung des Stücktexts ins Heute gebracht wurden; dass es sich bei Romeo und Julia um Edward de Veres obszönstes, d.h.: mit expliziten Anspielungen reichlich versehenes Theaterstück handelt, wird nicht unterschlagen. Claudia Stühle spielt, das ist sehr kurzweilig und ganze Szenen tragend, eine lustig plappernde und schließlich betroffene „Amme“, finalmente in Schwarz, Frank Ambrosius ein rechtschaffen rauer Capulet, Hans-Jürgen Honikel ein diskreter Bruder Lorenzo, Jeanne Pasewald in ihren kurzen Auftritte als Prinz Escalus sehr prägnant. Frau trägt, unter dem Frack, Rock – der Abend trägt zunächst ein schnelles, dann ein merklich langsameres und (zu) leises Gewand. Trotzdem: Langer Beifall für ein Freilichtstück, das keines ist.
P.s.: Mehr über Edward de Vere, den Verfasser auch von Romeo und Julia: http://www.shakespeare-today.de/index.262.0.1.html
Frank Piontek