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Bayreuth
Freitag, 6. Dezember 24

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Fürst Pückler reist in Franken

Hinter den KulissenFürst Pückler reist in Franken

Baireuth, den 15. Juni 1834

Bayreuth ist ein freundlicher Ort, etwas todt, wie alle diese ehemaligen Residenzen, mit schönen Gebäuden, die leer stehen. Nicht ohne Erstaunen sah ich das Theater, welches sehr zweckmäßig gebaut, im Geschmack Ludwig des Vierzehnten, im Inneren ganz vergoldet und prachtvoll ausgeschmückt ist. Da die neueste Mode sich wieder diesem Genre zuwendet, so wäre dem grandiosen und magnifiken Saal nur zu wünschen, daß er sich an einem Orte befände wo er mehr en evidence gesetzt werden könnte. Während der heutigen Vorstellung brannten nur sechs trübe Lampen und zwölf Wachslichter in einem größeren Raume, als der des Berliner Schauspielhauses ist. In die saalartige Hofloge tretend, in der man mir sagt, daß sich bereits sechzehn Damen befänden, musste ich mit den Händen um mich tappen, um meinen Weg zwischen den Säulen zu finden. Mein Schuld war es daher nicht, wenn ich in der Finsternis statt der kalten Wand einen warmen elastischen Körper berührte.

Ein leiser Schrei benachrichtigte mich von meinem Irrtum, und ich schlug erschrocken eine andere Richtung ein. Unterdessen hatten sich meine Augen schon so an weit an die Dunkelheit gewöhnt, daß ich unterscheiden konnte, wie das gros der Gesellschaft, unter der sich kein einziger Herr befand, in langer Linie an der Brüstung saß, und der kleine Traineur, mit dem ich unwillkürlich karamboliert hatte, ganz allein zwischen den Säulen umher ging. Ich fand die beste Gelegenheit, mich der jungen Dame durch eine Entschuldigung zu nähern, was ich auch nicht versäumte. Unterdessen war der Vorhang aufgegangen, und der zweite Akt des Fidelio begann. Das diese schwere Musik hier abscheulich gemißhandelt werden mußte, war voraus zusehen; desto melodischer ertönte mir die holde stimme meiner Nachbarin in der sanften Logendämmerung. Et volià, wie meine Mutter sagte.

Am anderen Tage ging ich ins Narrenhaus, wo wir in manchen Augenblicken alle hingehören. Einer empfing uns sehr artig und unterhielt uns mit allen Manieren eines Weltmannes. Als wir gingen sagte er schwehrrnütig zum Doctor: “Es ist noch immer keine Hoffnung da, daß er wieder kommt.“ Der Doctor fing an zu lachen. „Denken Sie sich, dieser Mann hat die sonderbare Einbildung, daß er einen Theil des Körpers verloren habe, der, wenn ihn Adam im Paradiese nicht gehabt, Eva’s Schöpfung überflüßig gemacht haben würde. Obgleich nun der arme Teufel ganz im Irrthum ist, so bleibt er doch dabei, und glaubt, wenn sich das Gegentheil zu offenbar bemerklich macht, er träume.“

Das Haus, in dem die Irren sich befinden, war sonst die Sommerresidenz der Prinzessinnen, und der übrige Hof wohnte, glaub ich, in dem angrenzenden  Zuchthause. So ändern sich die Zeiten, ja der ganze See, der hier zum Vergnügen der hohen Herrschaften befand, ist mit ihnen ausgetrocknet.
Auch nach dem Kirchhofe führen sie alle, so wie mich heute der meinige. Es war, um Jean Pauls etwas precieuses und geschmackloses Grabmal zu sehen. Was mich sehr frappierte, war die Utlisierung des Kirchhofes. Er enthielt nämlich zugleich eine Obstplantage, und es ist sehr aufgeklärt von den Baireuthern, Pflaumen und Kirschen zu essen, die aus den Leibern ihrer Aelteren hervorwachsen. Ich betrachte die Bäume mit Ehrfurcht, und dachte bei mir: das sind ächte und lebendige Stammbäume!  Als ich den Kirchhof verließ, begegnete mir ein Fiaker voller Blumenkränze. „Eine Braut?“ frug ich. „Nein, eine Leiche.“ Wenn man hier nicht zu leben verstehen sollte, so versteht man wenigstens zu sterben.

Auszug aus: „Dritter Brief – Vorletzter Weltengang von Semilasso -Traum und Erwachen“ des Herrmann Ludwig  Heinrich Fürst von Pückler-Muskau (1785–1871). Der berühmte Landschaftsarchitekt, Lebemann, Schriftsteller und Weltreisender durchstreifte im Sommer 1834 das Frankenland und beschrieb es in Briefen an seine Frau Lucie (Schnucke).       

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