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Samstag, 15. März 25

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Endlich in Bayreuth

TheaterEndlich in Bayreuth

Die Studiobühne spielt Peer Gynt

Wann wurde das letzte Mal in Bayreuth ein Stück von Henrik Ibsen gespielt? Der Rezensent kann sich nicht erinnern – aber dass die Studiobühne in ihrer über 50jährigen Geschichte sich noch kein einziges Mal dem großen norwegischen Dramatiker gewidmet hat, ist nachweisbar. Umso schöner, nun in der Röntgenstraße einem der Hauptwerke des Dichters zu begegnen: dem Peer Gynt.

Peer Gynt: das ist das Drama des Menschen, der sein Ich sucht und es am Ende im Anderen, genauer: in der Anderen zu finden scheint. Der Tunichgut und Tagträumer geht in die Welt, kommt in das Reich der Trolle, denen er um Haaresbreite entkommt, wird zum Kaiser seiner selbst, tummelt sich in auch blutigen Geschäften, soll, da er trotz aller Regsamkeit kein wirkliches „Ich“ besitzt – zumindest keines, das ihn als wie auch immer geartete, vollgültige Persönlichkeit ausweist – vom Knopfgießer eingegossen werden, bevor ihn so etwas wie der Teufel holen will. Genau dieser alt gewordene Gynt wird schließlich „erlöst“. Denn die Frau, die ihm einst schwor, auf ihn zu warten, blieb ihrem „Jungen“ treu. Ibsen schrieb mit seinem unvergleichlichen Drama über den Menschen – ein Theaterstück für ausnahmslos alle Theaterbesucher, ja Erdenbewohner – keinen „norwegischen Faust“, wie gelegentlich gemeint wurde. Er hinterließ ein ungemein spannungsreiches und fantasievolles, halb reales, halb surreales Märchenstück über den schwierigen Weg des Menschen zu sich selbst. Von je her haben sich die Bühnen mit besonderem Fleiß dem gleichsam epischen Großwerk verschrieben, den der subtile Kritiker der bürgerlichen Gesellschaft vor 150 Jahren schrieb.

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Foto: (c) Thomas Eberlein

In Bayreuth spielen gleich drei Akteure die Titelrolle. Der junge, der mittlere und der alte Gynt, sie treffen am Ende in einer schier bezwingenden Szene aufeinander, nachdem sich der mit dem Tod konfrontierte Weltwanderer in die Einzelgespräche mit seinen früheren Ichs begeben musste. Die Idee ist nicht nur fantastisch – sie ist goldrichtig. Valentin Lotze spielt also den ganz jungen, emotional oft angefassten, tränennahen Gynt, Martin Kelz einen zunächst luftleichtten, dann brutalen, schließlich von des Gedankens Blässe angerauhten Gynt, Wolfram Ster den alten, an seiner eigenen Existenz fast verzweifelnden Gynt: als dreamteam von menschlichen Möglichkeiten und Ausdrucksformen, dem am Ende so etwas wie ein „Happy end“ garantiert ist – doch bleibt die Lösung mehrdeutig. Denn der Regisseur Julius Theodor Semmelmann hat den Peer Gynt sehr genau zwischen fantastischem Traumspiel und hartem Bühnenrealismus angesiedelt. Da kommt am Ende, das ist durchaus bewegend, der junge Gynt zu seiner jung gebliebenen Solvejg. Eine Liebeshoffnung, was sonst, aber Ibsens Utopie eines buchstäblichen Geborgenseins im Anderen, genauer: in der Anderen, wird nicht als Scheinlösung eines romantischen Theaterspiels denunziert.

Der Beifall für die nur elf Spieler und Spielerinnen, die den Kosmos des, wie gesagt, unvergleichlichen und unvergleichlich tiefsinnigen wie offenen Peer Gynt realisieren, ist denn auch ehrlich und gewaltig. Man hat in der Studiobühne den in Prosa übersetzten Text auf etwa ein Viertel reduziert, ohne dem Stück Wesentliches zu nehmen; Kenner mögen die Szene auf dem Meer vermissen, in der sich Gynt als Mörder präsentiert (dafür gibt es sogar eine kleine Sphinx), aber schon vorher, im Wüsten-Akt, hat sich der „mittlere“ Gynt ja schon als rüder Egoist gezeigt. Schlichtweg überzeugend ist der Trick, die Typen aus der Menschenwelt und die entsprechenden Trolle, die ihrerseits nichts Anderes sind als verkappte Bürger, von den selben Darstellern spielen zu lassen. Also ist Uwe Hoppe nicht allein der Vater der Braut, die vom jungen Peer entführt und dann im Stich gelassen wird, sondern auch der böse, auf den widerlichen Gesetzen seiner Welt beharrende Trollkönig. Die Braut, Clara Renner mimt sie ganz glänzend, ist auch die Grüne, also die Trollfrau, auf deren Reize der junge Gynt hereinfällt, bevor ihn die Trolle Mores lehren. Sie ist auch die Figur namens Apis, die im Irrenhaus eine Mumie mit sich herumschleppt: so wie die Trollfrau, die Gynt in genau jenem Moment mit ihrem Monsterkind erscheint, in dem er sein Glück mit der geliebten Solvejg finden möchte. Aase ist in diesem fast (!) tragischen Drama eines Muttersohns Annette Zeus; sie spielt in dieser hintersinnigen Doppelbesetzung auch das Gegenteil: Anitra, die Tänzerin der Wüste, die dem Gynt eine elementare Enttäuschung verpasst, indem sie ihn verlässt.

Solvejg ist am Abend die Einzige, die wirklich nur sie selbst ist, da Vanessa Kinne zwar auch als Troll und als Gorilla über die Bühne hüpft, aber als sichtbare Figur allein stark und denkbar selbstbewusst die Solvejg ist: nicht als Objekt der männlichen Sehnsucht nach einem Frauenopfer, sondern, wie Ernst Bloch, der Philosoph der Hoffnung und der Tagträume, gesagt hätte, als Figur des aufrechten Gangs.

Uwe Hoppe ist auch einer der reichen Gentlemen, die in Marokko auf den skrupellosen Kapitalisten Gynt stoßen, bevor er – in der Maske Henrik Ibsens – den irren Irrenarzt Dr. Begriffenfeldt gibt: mit Berliner Dialekt. Das alles ist brillant, ohne hypertroph zu wirken, kurzweilig bei insgesamt zweieinhalb Stunden Länge – und sehr bildstark. Semmelmann, der vom Bühnenbild herkommt, hat im meist leeren, nur in zwei Szenen mit Tischen und Stühlen angefülllten Raum ein Raumtheater arrangiert, das die Größe der kleinen Bühne bis in den letzten Winkel ausnutzt: akzentuiert durch schwarze Vorhänge, durch Licht und Dunkelheit – und durch ein Ensemble, das Gynts Geschichte hinreissend und nicht allein am Ende tief bewegend vergegenwärtigt. Alles ist da: der Zwiebelmonolog (nur Schalen, kein Kern…), die gespenstische Trollwelt (die Masken wurden von Judith Antony geschaffen) – und Edvard Griegs Musik. Sie wird, das ist gut, eher zitiert als ausgespielt, die Trolle artikulieren den Satz „In der Halle des Bergkönigs“, Aases Tod erklingt, das ist bewegend, als Spieluhrenstück, Solvejgs weltberühmtes Lied als kurze Szenenbegleitung. So gesehen und gehört: ein Peer Gynt für alle, also die sog. Traditionalisten und die Freunde des modernen Interpretationstheaters. Die Frage, was das denn ist, dieses „Ich“, wird natürlich auch bei diesem Peer Gynt nicht wirklich beantwortet, aber dass man mit den Mitteln der Distanz und der Empathie darauf verwiesen wird, dass die Frage doch nicht ganz unwichtig ist: allein dies macht diese an Mitteln reiche Produktion zu einer im besten Sinne vergnüglichen.

Wie gesagt: Langer und zurecht begeisterter Beifall für einen tiefsinnig-bewegenden wie kurzweiligen Theaterabend.

Frank Piontek

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