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Einzigartig bürgerlich – Die Karfreitagsprozession zau Lohr am Main

FestkulturEinzigartig bürgerlich - Die Karfreitagsprozession zau Lohr am Main

Keine Karfreitagsprozession ist älter. Die erste Quelle, die uns darüber Auskunft gibt, stammt aus dem Jahr 1658, eigentümlich ist auch der Ablauf. Denn die Bewohner von Lohr am Main gestalten dieses Fest nicht als „Event“ (auch wenn es für die, die mitmachen, jedes Mal ein Ereignis ist), sondern als ungewöhnlich ernste religiöse Prozession. Dass man heute den langen Zug schweigend an sich vorüberziehen lässt und nur der unheimliche Schlag einer einsamen Trommel erklingt (bevor den Ende des Zugs am Ende denn doch eine Blaskapelle, die Wombacher Blasmusik, mit Trauerchorälen macht): dies ist erst seit den 60er Jahren so Sitte. Bis dahin pflegten die Gläubigen die Prozession noch betend und singend zu begleiten, bevor die Schwärze des Karfreitags auch über die vergleichsweise passiven Teilnehmer des Trauerfests kam und Stille in den Straßen einkehrte.  Erst im Anschluss an den Schweigemarsch wird heute auf dem Kirchplatz gebetet und gesungen.

Was aber macht die unterfränkische Karfreitagsprozession so einzigartig? Zum einen ist sie die letzte vollständig erhaltene Figural-Prozession Deutschlands. Waren das Heilsgeschehen abbildende Prozessionen im 17. und 18. Jahrhundert noch üblich, so wurden sie im Zuge der Säkularisation verboten. Zum Anderen handelt es sich nicht um eine kirchliche, sondern um eine bürgerliche Veranstaltung. „Bei der seit über 300 Jahren bestehenden Prozession“, liest man auf der Homepage des Vereins, der sich um die Prozession kümmert, „sind die Angehörigen aller Berufe gebeten, sich bei der Station einzugliedern, die Ihnen [sic] besonders nahe steht“. Es sind die Mitglieder der alten Handwerkszünfte, der Vereine und Verbände, die die 13 schweren, blumengeschmückten Holzpodeste auf ihren Schultern tragen, auf denen die lebensgroßen Figuren die „Leidensgeschichte unseres Herrn und Heilands“ darstellen, wie es auf einem Schild heißt, das von einem Kind, noch vor der Stadtkapelle von Lohr am Main, vorangetragen wird: vom Stadtkirchenplatz von St. Michael über kleine Straßen und die Hauptstraße wieder zurück zum Ausgangspunkt.

Begründet wurde die Karfreitagsprozession vermutlich von Kapuzinern oder Jesuiten: als gegenreformatorische Aktion, die wir uns ursprünglich noch viel größer vorstellen müssen. Es sind nicht weniger als 600 schwarz gekleidete Lohrer Männer und ein paar Frauen, die die Figuren durch die Stadt tragen, doch keine Geistlichen, die allerdings den Zug (an der Spitze nach der Kapelle: die Ministranten) zusammen mit den städtischen Mandatsträgern abschließen. Durchaus hintersinnig ist dabei die Zuordnung der einzelnen Figuren zu den jeweiligen Berufsständen und Handwerkerinnungen: Das Abendmahl gehört der Büttnerinnung und dem Brau- und Gastgewerbe, die Gefangennahme Christi wird der Wagner-, Schmiede- und Schlosserinnung sowie den Metall- und Eisenarbeitern anvertraut, die Geißelung Christi ist in Händen der Schuhmacher- und Sattlerinnung, der Polsterer, Raumgestalter, Fliesenleger und der Kolpingfamilie, die Kreuzträger sind gewöhnlich Gärtner, Landwirte, Obst- und Gemüsehändler, Förster und Waldarbeiter. Die Bäcker tragen den Leib Christi (den sie auch backen) durch die Straßen – und wenn Christus seiner Kleider beraubt wird, haben‘s die Schneider und die Mitarbeiter der Bekleidungsindustrie und des Textilhandels zu verantworten, bevor eine der schönsten Figuren, Jona im Maul des Walfischs, als Allegorie der Auferstehung von der lebenrettenden Feuerwehr versorgt wird. Die Prozession ist Männersache, aber es gibt eine bezeichnende und schöne Ausnahme: Junge Frauen übernehmen fast am Schluss die Pietà, die trauernde Muttergottes mit dem toten Jesus.

So ist die Karfreitagsprozession zu Lohr am Main gleich beides, ein sog. Volksaufzug, aber auch eine wandelnde Meditation über das Leiden und Sterben Christi: des Repräsentanten aller Menschen, die unschuldig verfolgt, angeklagt, gefoltert und ermordet werden. „Es hat ja alles was sehr Archaiches“, sagte der Würzburger Weihbischof Ulrich Boom zu diesem eigentümlichen Leidens- und Hoffnungsfest. Etwas Archaisches – und, leider, immer auch etwas sehr Zeitloses. Die Bürger von Lohr am Main wissen es spätestens seit 1658.

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