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Eine Bedeutung jenseits des Offensichtlichen: Valentin Schwarz

Bayreuther FestspieleEine Bedeutung jenseits des Offensichtlichen: Valentin Schwarz

„Die Frage des Regisseurs ist doch: Wie kann man einen persönlichen Zugang in den Werken finden, der für uns eine Bedeutung jenseits des Offensichtlichen bereithält, die man dann transportieren kann?“

Traditionalisten, eingeschworene Verfechter einer sog. „Werktreue“, werden sich schon daran reiben, dass der junge Mann – furchtlos wie ein Siegfried des inszenatorischen Gewerbes – für sich in Anspruch nimmt, den vorliegenden und bekannten Zugängen eine eigene Sicht hinzuzufügen. Man kann sich schon vorher vorstellen, wie einige Zuschauer auf die Neuinszenierung reagieren werden, die Valentin Schwarz bei den Festspielen 2022 vorlegen wird: die Inszenierung eines so monumentalen wie häufig auf die Bühne gebrachten Hauptwerks des Musiktheaters, wobei die Betonung sowohl auf „Musik“ wie auf „Theater“ liegt. Man schlage das alles bei Wagner selbst nach, der seine Opern ganz bewusst und nicht allein für die Ohren schrieb. Dass Schwarz der jüngste Regisseur der Festspielgeschichte ist: das hat er, aus bekannten Gründen verpasst, weil die für 2020 geplante Premiere ins Wasser fiel. Dass er gleichwohl ein Mann der Gegenwart ist, der mit seinen Erfahrungen – den Erfahrungen des Geburtsjahrgangs 1989 – ans Werk geht, ist gleichwohl unübersehbar. 2019 hat er‘s ja schon gesagt, als er im Haus Wahnfried, während des Symposions Diskurs Bayreuth, lose Auskunft gab. Der „Tradition“ setzte er damals die Beschreibung des Ring des Nibelungen entgegen, die auf die Gegenwart mit ihren spezifischen Sehangewohnheiten zielt: die Tetralogie firmierte da als Objekt eines Binge-Watching, die Familiensaga als Serien-Fortsetzung im telegenen Format: „wenn man sich Serien staffelweise reinzieht, in diese völlig eintaucht und den Charakteren empathisch näherkommt, so schlimm und grauenhaft sie auch sein mögen“.

Mit dem Holländer hat alles angefangen. Der Überforderung des Kindes durch Wagners erstes Bayreuther Kanon-Stück folgte der Eindruck einer herausragenden Festspiel-Inszenierung: Christoph Schlingensiefs Parsifal-Deutung, uraufgeführt im Jahre 2004, muss den jungen Österreicher geflasht haben. Der berufliche Weg war so folgerichtig wie ungewöhnlich: noch während des Wiener Studiums der Musiktheater-Regie brachte er Debussys Le Martyre de Saint Sébastien und Lehárs Giuditta auf die Bühne. Den begehrten Grazer Ring Award gewann er, zusammen mit seinem Ausstatter Andrea Cozzi, der auch den Bayreuther Ring ausstatten wird, mit 28: für ein Konzept von Donizettis Don Pasquale, der inzwischen als Koproduktion der Opernhäuser in Montpellier und Karlsruhe realisiert wurde. Die Begründung, die ein Jury-Mitglied veröffentlichte, lässt aufmerken: „Die Wunderkammer, die sie für die Bühne ihrer Don Pasquale-Interpretation geschaffen haben, ihr historisch-reflektierter Ansatz, die aufeinanderprallenden Welten und nicht zuletzt ihr Slapstick haben uns überzeugt. Ich habe viel gelacht und geschmunzelt und ich werde das Nashorn, das mit Norina auf dem Rücken über die Bühne gefahren ist, nicht so schnell vergessen.“ Bei Schwarz war der alt gewordene Liebesnarr Don Pasquale beinahe ein Stellvertreter Don Quixotes innerhalb einer modernen Umgebung, schlussendlich eine tragische Gestalt. Manche nennen das: „Aktualisierung“ und mokieren sich darüber. Andere erblicken in Schwarz‘ Opern-Deutungen lebendige Geschichten, die im historisch gewordenen, zwischen Bühnenfiktion und angedeuteter Realgeschichte angesiedeltem Material – sei es bei Mozart (Così fan tutte, Wiener Kammeroper 2018), sei es bei Verdi (Un ballo in maschera, Darmstadt 2018), Puccini (Turandot, Darmstadt 2019) und Strauss (Arabella, Weimar 2012, Co-Regie. Regie: Karsten Wiegand) und natürlich in Carmen (Weimar 2012) und Herzog Blaubarts Burg (Weimar 2013) – die spannendsten Stoffe erblicken, um auch noch über heutige Geschlechter-Kämpfe nachzudenken.

Es war ein modernes Stück, das Schwarz die Einladung nach Bayreuth verschaffte. Ein Jahr nach dem Sieg beim Ring Award Graz inszenierte Schwarz in Köln Mauricio Kagels 1975 uraufgeführtes, absurdes Musiktheaterstück Mare Nostrum: über die Entdeckung, Befriedung und Konversion des Mittelmeerraumes durch einen Stamm aus Amazonien. „Das Stück bleibt uns fern, ungefähr, unverfänglich, weit weg von unserer Zeit“, schrieb Andreas Falentin in der Deutschen Bühne, doch die Ambitioniertheit und die Bilderrätsel, die Schwarz erfunden hatte, konnten manchen Besucher begeistern. Der Regisseur sei, schrieb Egbert Tholl anlässlich der Kölner Premiere von York Höllers Der Meister und Margarita, keineswegs verlegen um szenische Einfälle. „Diese funktionieren dann am besten, wenn man mit den Gästen der Kneipe im ersten Star Wars-Film vertraut ist oder serielle Comic-Adaptionen schätzt, in denen Dinge in Menschen oder andersrum verwandelt werden.“

Also mal schauen, was Schwarz zum Ring einfällt, wenn er ihn wie eine Netflix-Serie anschaut. Mit Wagner hat er ja, rein beruflich betrachtet, schon ein bisschen Erfahrung – 2020 kam ein echtes Corona-Projekt an, besser: vor der Staatsoper Stuttgart heraus, als er das Opernchor-Projekt Demo[kratie] an die Luft setzte: mit Wagner als Protagonist. „Ich will“, berichtete Schwarz der dpa zum Ring, „eine Geschichte von heutigen Menschen, heutigen Figuren, heutigen Problemen erzählen – und keine von Göttern, Zwergen, Riesen und Drachen.“ Das Rheingold also als „Pilotfilm“, der „vieles anteasert und gespannt macht auf das, was da noch kommt – auch wenn man vielleicht noch nicht alles sofort einordnen kann“. Schlusswort des Regisseurs: „Ich wünsche mir auf jeden Fall, dass die Leute rausgehen aus den Inszenierungen und sagen: Ich freue mich auf die zweite Staffel.“
Am 31. Juli 2022 beginnt schon mal die erste.

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