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Ein Totentanz zwischen Gestern und Heute

TheaterEin Totentanz zwischen Gestern und Heute

Ödön von Horvaths „ Ein Kind unserer Zeit“ an der Studiobühne Bayreuth

„Wir säubern!“ Das Wort prägt sich ein, es wird wiederholt: „Wir säubern!“ Man „reinigt“ das Nachbarland von jenen Elementen, die an einen Rechtsstaat glauben. Erinnerungen an die Wirklichkeit drängen sich auf, es ist unvermeidbar.

Das Stück ist ein Stück von 1937 und `38, es ist alt – und wirkt an manchen Stellen doch so neu wie sein letzter Roman „Jugend ohne Gott“. Ödön von Horváth, der in der Bayreuther Studiobühne ein seltenes Gastrecht eingeräumt bekommt – ungefähr alle zehn Jahre kreuzen einige seiner Figuren die Bühne -, der österreichische Autor mit Dauersitz im oberbayerischen Murnau, wo er die Nazis studieren konnte, schrieb kurz vor seinem Tod den Roman „Ein Kind unserer Zeit“; dass die Studiobühne den Text nun in einer Theaterfassung ins Programm nahm, macht schon den Titel zu einem aktuellen. Ein Mann um die 20, arbeitslos, wird, vor allem aus sozialen Gründen (Hunger schmerzt mehr als der Ton auf dem Kasernenhof) Soldat; er, Angehöriger der Armee eines sehr großen Landes, verliebt sich in ein Mädchen vom Rummeplatz, ein Zauberschloss gerät in Sicht, ein Chopinwalzer ins Gehör, dann marschiert er mit seinen Kameraden in ein wesentlich kleineres Land ein, um es, wie gesagt, zu „säubern“. Der Rest ist ein Bildungsroman in Moll.

Das „Kind unserer Zeit“ – aber eigentlich (und uneigentlich) sind alle Protagonisten des Horvátschen Romans Kinder ihrer Zeit -, das Kind unserer Zeit ist ein Mensch, der Beides zugleich ist: Täter und Opfer. Wenn der Darsteller Franz Rupprecht diesen Mann in den pausenlosen 90 Minuten auf die Bühne wuchtet, die ihm die Regisseurin und Bearbeiterin Dorothea Kirschbaum geschenkt hat, mag der Impetus des Zuschauers zwischen Beobachtung und Teilnahme schwanken – so schnell fertig werden dürfte man mit diesem gebrochenen Kraftkerl wohl nicht. Manches klingt heute bei Horváth, was aus seiner Perspektive heraus verständlich war, wie schlichtes pädagogisches Schultheater. In Zeiten der laufenden Kriege mit dem Hinweis auf die Beteiligung der deutschen Truppen an der Vernichtung der spanischen Demokraten auf den Wahnsinn hinzuweisen, ist nicht originell, auch wenn sich in Hinsicht auf die späteren und einstigen Gegner Deutschland und Russland die Vorzeichen verschoben haben. Antikriegsstücke sind nur dann relevant, wenn sie auf die Beteiligten einwirken, was im naheliegenden Fall des Ukraine-Kriegs noch nicht sinnvoll wäre, es sei denn, man definierte Deutschland als „Kriegspartei“. Beschwört die Regisseurin den „überzeitlichen, nicht nur auf Deutschland oder Europa beschränkten Charakter des Textes“ und den Eindruck, „dass sich in den letzten hundert Jahren nicht grundlegend etwas geändert hat“, hat sie zugleich Recht und Unrecht. Doch besteht ein Theaterabend nicht aus theoretischen Setzungen, die imemr diskutabel sind. Entscheidend bei allem Theater bleibt der Stil – und der ist an diesem dichten Abend schier beifallprovozierend.

Der Ausstatter Jens Hübner hat dem Spiel allen Raum gelassen. Mit wenigen kantigen Verschiebeelementen wird ein fast abstrakter Ort geschaffen, der zwischen der „zeitlosen“ Parabel und der realistischen, durch manch Kostümelement und nostalgischer Grammophonmusik verortete Geschichte setzt. So beginnt der Abend, nach epischem Einspruch einer auch andere Horváth-Texte integrierenden Stimme aus dem Off (Barbara Lattas), quasi oratorisch, der namenlose Soldat, also Horváths Monologist, spricht zunächst aus vier Figuren, deren rhetorischer Duktus die Schärfe eines Agit-Prop-Stücks besitzt. Dann weitet sich die Personalie ins Charakteristische, indem sie sich schliesslich auf den Anti-Helden konzentriert und die anderen drei Spieler zu den Begleitern des Soldaten werden, der schon bald verletzt wird, ins Lazarett kommt, entlassen wird. Das Ganze hat die Züge eines Totentanzes – und tatsächlich taucht der „gefallene“ Hauptmann des Soldaten irgendwann als Geist aus einer denkbar unbewältigten Vergangenheit auf. Klaus Meile macht das, als lebender und toter Hauptmann, als Mann der Demagogie und der Reue, so deutlich, wie es der Text vorgibt, auch wenn am Ende Zweifel über seine Konversion aufkommen mögen. Gleichermaßen klar in ihren Konturen: Pierre Soldatenko als Offizier, Vater und Buchhalter, Lisa Friedrich als Schwester, Witwe, weitere Frauen: sie alle spielen irgend etwas zwischen Typen und Persönlichkeiten, zwischen einer politischen Historie mit eingebauter Distanz und einem Anflug von Individualität. Selten war Horváth brechtscher als hier; die Spieler verhalten sich danach. „Ein Kind unserer Zeit“ ist ein Ensemblestück, in dessen Mitte Franz Rupprecht mit körperlichem und sprachlichem Einsatz alles zusammenhält: bis hin zum Credo „Hasse Deine Feinde! – und darüber hinaus und wieder zurück. Der Rest ist eisiges Schweigen, der Schmerzensmann zum Schneemann.

Der Beifall, der nach dem still verhallenden, traurigen Schlussakkord aufbrandet, kommt mal wieder um einige Sekunden zu schnell; Dorothea Kirschbaum, die aus der Oper kommt, wird das kennen. Allzu viel Nach-Denkzeit wollten sich manche Zuschauer offensichtlich am Ende nicht mehr geben – nun gut: ein schnell einsetzender bewegter Applaus ist immer noch besser als ein freundlicher. Die vier Schauspieler und ihre Regisseurin haben ihn sich am schwierigen Text und Sujet ehrlich erarbeitet.

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