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Ein kleines Juwel – gut gespielt

TheaterEin kleines Juwel – gut gespielt

In Sanspareil: Die Studiobühne Bayreuth spielt Voltaires Kapitän Cap Verde

Hand aufs Herz: Wer hat jemals auf einer deutschen Bühne eine der über 30 Tragödien oder 15 Komödien des Monsieur de Voltaire gesehen? Selbst auf den französischen Theatern dürften Aufführungen der Sophonisbe oder der Skythen, des Indiskreten oder der Nanine zu den Raritäten gehören, die vielleicht gelegentlichst ausgegraben werden, um alsbald wieder in der Versenkung der 205 (!) Bände der Oeuvres complètes zu verschwinden. Wird einmal der Candide angesetzt, so handelt es sich um eine Bühnenbearbeitung des Prosawerks, nicht um ein originales Theaterstück.

Umso schöner, dass endlich auch einmal von der Studiobühne Bayreuth ein dramatisches Werk des großen französischen Aufklärers und Spötters inszeniert wurde, zumal Voltaire mit Markgräfin Wilhelmine persönlich bekannt war und einen zwar nicht allzu umfangreichen, aber interessanten Briefwechsel geführt hat. Voltaire stand mit ihr auch einmal auf der Bühne, zwar im Römischen Theater der Eremitage, nicht im Ruinentheater in Sanspareil, aber das macht ja nichts. Auch die Dependance der Studiobühne im Felsengarten von Wonsees ist der richtige Ort, um sich an den Komödienschreiber Voltaire zu erinnern. Man spielt also Les Originaux ou Monsieur du Cap-Vert, zu deutsch: Kapitän Cap Verde. Man spielt das kleine Stück wohl auch deshalb, weil der von Simon Werle verdeutschte Text im Verlag der Autoren herauskam – witzigerweise wohnt einer der Gründer des Verlags in der Nähe von Sanspareil. Man spielt den Cap Verde aber vor allem deshalb, weil das Stück treffllich auf die kleine Bühne passt. In neunzig Minuten sprudelt die Komödie vor uns vorbei: die Geschichte zweier Frauen und ihrer „falschen“ und „richtigen“ Männer. Voltaire schrieb sie 1732, also ungefähr in der Zeit, in der die Bayreuther Markgräfin ins Land eingeheiratet wurde. Veröffentlicht wurde das seinerzeit nur privat uraufgeführte Stück erst 1820. Man wundert sich, dass es heute kaum mehr gespielt wird. Zugegeben: die Handlung – zwei Schwestern kämpfen um einen Geliebten bzw. um einen Schlumpi von Ehemann – kommt auf den ersten Blick nicht allzu originell daher, aber mit den Augen von 1732 betrachtet offenbart sich das emanzipatorische Potential zumal der verheirateten Schwester umso mehr. Mit Hilfe eines „Bedtricks“, wie er aus der Hochzeit des Figaro bekannt ist, gelingt es der Ehefrau, ihren notorisch untreuen und verschwenderischen Mann davon zu überzeugen, dass sie die einzig Richtige für ihn ist, während die Andere, die in einen jungen Mann verliebt ist, an den Titelhelden, den Kapitän Cap Verde, verheiratet werden soll. Hier aber besteht die Lösung eher aus dem komödientauglichen Zufall der Wiederkunft der totgeglaubten Gattin des alten Seebären. Am Ende versöhnen sich alle mit ihrem Schicksal, und die Eltern der jungen Fanchon und der Gräfin Des-Apprèts beschließen, endlich vernünftig zu werden, indem sie auf die spinnerte Astrologie und die spekulative Medizin, also auf ihre Ephemeriden und ihre Pillendöschen verzichten. Zuletzt stellen sich – da hilft nur das traditionelle Motiv des körperlichen Kennzeichens – die beiden Männer noch als verschollene Söhne des Korsaren heraus.

Ist das, von heute aus gesehen, noch originell? In Maßen – aber es kommt auch im Theater immer auf den Stil, nicht auf das sog. Thema an. Was die Studiobühne unter der Regisseurin Birgit Franz da aufbietet, ist überaus köstlich. Der Abend vergeht wie im Wirbelwind. Die Sprache ist klar und hat Tempo. Man und frau ruht sich nicht auf den Pointen aus, sondern erzählt uns, im besten Stil der französischen Komödienkunst des 18. Jahrhunderts, das Spiel von der Liebe und vom Zufall. Also schaut der Gerichtspräsident Bodin durchs Fernrohr in den Himmel; Frank Ammon macht das, mit höherer Stimme, mit sanfter Ironie. Michaela Schoberth ist ein Schreckgespenst von Schwiegermutter, wenn sie mit ihren Ratschlägen nervt. Sie aber treten zurück, wenn Charlotte Pensel als Fanchon die Bühne betritt. Pensel, früher in Würzburg, ist ein echter Gewinn für die Studiobühne. Stefan Schneller, den wir gerade noch als Romeo erleben konnten, spielt den Mann der Gräfin scharf wie ein Rasiermesser. Die Gräfin selbst, Carolina Aures, steht ihrer Partnerin Charlotte Pensel in Sachen Geradlinigkeit, clarté und einem untrüglichen Sinn für das richtige timing nur wenig nach. Zuletzt begeistert Frank Müller in der Titelrolle: als, wie gesagt, alter lustig-unverfrorener Seebär ist er geradezu rollendeckend. Auch eine schöne Neuentdeckung im Reigen der Studiobühnen-Akteure: Monika Gut als wiederkehrende Madame Cap Verde. Hier wird die Typenkomödie zum (fast) charakterisierenden Lustspiel. Lukas Sauers Chevalier du Hasard, dem sich Fanchon fast zu erwehren scheint, schließlich Olga Hordyshevska als ausgesprochen witzige Spielerin der kleinsten Rollen, der Diener und Pagen: sie vervollständigen das gute, Kurzweil produzierende Ensemble, das auch so etwas wie schnelle Gänge über die Bühne wunderbar zu ironisieren vermag – und die Kostüme von Heike Betz sind in ihrer farbig-weißen Verspieltheit einfach nur amüsant.

Schön also, dass es endlich gelang, den Theaterautor Voltaire wieder nach Bayreuth bzw. in seine Umgebung zu holen. Der Kapitän Cap Verde ist, man merkt’s, durchaus ein kleines, so einfaches wie hintersinniges Juwel. Man muss es „nur“ aus dem Text holen. Letzter Satz (man findet ihn auf der Rückseite des Programmhefts): „Ein Herz kann man nicht kaufen: Es verschenkt sich und lässt nicht um sich feilschen.“ Das klingt so elegant wie holzschnitthaft, aber man muss es sprechen können. Charlotte Pensel kann es – und noch viel mehr.

Frank Piontek

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