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Die Walküre

Premiere: 18.4. 2022. Besuchte Vorstellung: 6.6. 2022

Schroff und sehr, ja ungewöhnlich akzentuiert klingen die Streicher mit ihren detonierenden Spitzen in den Raum hinein. Das stürmende Vorspiel lässt keinen Zweifel darüber, dass es zur Sache geht – kein Wunder: wir sitzen in Coburg, einem kleinen Haus, in dem die Nachhallzeit so kurz ist, dass ein halbes Hundert Musiker in einem äußerst engen Orchestergraben genauso viel und genügend Druck zu geben vermögen wie ein Riesenorchester in einem großen Haus. Insofern war die Frage, ob es nicht gewagt sei, mit einem vergleichsweise kleinen Orchester an den „Ring“ zu gehen, eher naiv: denn Coburg tönt per se anders als die Metropolitan Opera, braucht also viel weniger Streicher, Bläser und Schlagzeuger, um den von Wagner intendierten Zauber ins Werk zu setzen. Im Gegenteil: diese „Walküre“ klingt, durch die Verschlankung des Klangs, an manchen Stellen ausgesprochen modern, als hätte Francis Poulenc die Partitur überarbeitet. Also: Die Kombination von „Coburger Fassung“ (1906/07 vermutlich geschaffen von Alfons Abbas) und „Lessing-Fassung“ von 1943 (mit den „Sonderinstrumenten“ Wagnertuba und Basstrompete) reichte, von ganz wenigen Passagen abgesehen, völlig aus, um ein schönes Klangerlebnis zu schaffen. Von ganz wenigen Passagen abgesehen? Zugegeben: Im Ritt der Walküren hätte ich mir mehr militärische Rundheit, mehr Massivität gewünscht (auch wenn das Corps der in der Luft sitzenden Frauen dynamisch seine Probleme hatte, vom Rang aus die Streicher kaum zu hören waren und mehr Druck im kleinen Haus nun wirklich nicht notwendig ist).

Was bleibt, stiften, neben dem Orchester unter der zügigen, dem Drama angemessenen und doch die lyrischen Inseln auslotenden Dirigat des GMD Daniel Carter, die Sängerinnen und Sänger. Siegmund und Sieglinde, Wotan und Brünnhilde, Fricka und Hunding, nicht zuletzt 8 „kleine“ Walküren – das muss erst einmal besetzt werden. Es spricht viel für Coburg, wenn von den Sängern der Hauptpartien immerhin Wotan, Fricka und Hunding aus dem Ensemble heraus besetzt werden können – und mit Åsa Jäger eine große Brünnhilde auf der kleinen Bühne steht, um die die Coburger manch großes Haus beneiden würde. Soviel Zartheit bei soviel dynamischer Bandbreite und -höhe, soviel damenhafte, dabei jugendliche Vokal-Eleganz bei so viel dramatischer Inständigkeit: so muss eine junge Brünnhilde klingen. Ob sie auch so aussehen muss, bleibt eine Geschmacksfrage, aber der erfahrene Opernbesucher und freund darf bezweifeln, ob eine überaus korpulente Frau in einem von Julia Kaschlinskientworfenen, infantil anmutenden Kostüm 1. der Rolle angemessen ist und 2. die Sängerin glücklich macht, ihr also gerecht wird. Der Spagat zwischen behaupteter Symbolik und versuchtem Realismus, der diese „Ring“-Konzeption auszuzeichnen scheint, findet spätestens dann ein Ende, wenn der Illusionismus, der durch die Wagnerschen Originalfiguren transportiert werden soll, durchs Nachdenken über die Lächerlichkeit körperschädigender Kostüme gebrochen wird – gebrochen wird die Szene schon dadurch, dass der Regisseur Alexander Müller-Elmau wieder seine „Besucher*innen“ in den Ring, d.h.: ins Museum schickt, wo sie nicht mehr zu tun haben, als sich gelegentlich die ausgestellten Ring-Relikte (Schwert, Raben etc.) anzuschauen, lange auf Stühlen zu sitzen, die Szene zu beobachten und gelegentlich aufzustehen, wenn sie im Weg stehen. Man kennt diese Vergegenwärtigung des „tua res agitur“ inzwischen so zur Genüge (als letzte Beispiele nenne ich nur die „Ring“-Inszenierungen in Kassel und Berlin), dass man nur noch mit Siegfried ausrufen kann: „Ich mag es nicht mehr sehen“ – denn es bringt dramaturgisch-dramatisch absolut nichts, ja: es stört dort, wo die Intimität der Begegnungen zwischen Wotan und Brünnhilde, Siegmund und Sieglinde, die totale Konzentration aufs einzig Wesentliche gebietet. Also bitte: im Coburger „Siegfried“, den wir sehnlichst erwarten, sollten die nutzlosen Statisten die Bühne verlasssen haben, auch wenn man den Damen und Herren und dem Kind (Symbolik!) gönnt, so etwas Schönes wie Jessica Stavros und Roman Payer quasi hautnah bei der Arbeit zu erleben. Wir verstehen auch so, daß Wagners „Ring“ zugleich ein historisches wie modernes Werk ist; weniger verständlich, zumindest im Kontext der „Walküre“, ist die Projektion eines renaissancehaften Christus-Kopfs während der Todverkündigung, hat Wagner doch dem Sohn, nicht dem Vater, während der Konzeption von „Siegfries Tod“, also der späteren „Götterdämmeung“, erlöserähnliche Züge verliehen – aber bitte: Assoziationen sind, gerade in Wagners gewaltigem Kosmos, erlaubt. Wo ein archaisch anmutender Hirsch, dem Wotan zu Beginn des 2. Akts das Herz ausnimmt, von der Decke hängt, ist die Erinnerung an eine diffuse „nordische“ Mythologie, auf die sich der Regisseur im Programmheft bezieht, durchaus logisch: als erste Stufe einer Ringmenschheitsentwicklung, der ein humanisierender, von Siegmund, Sieglinde (und Brünnhilde) ausgehender Prozess ja folgen könnte.

Jessica Stavros, ein griechisch-amerikanischer Gast aus Köln, singt und spielt diese Sieglinde, deren Stimme so bezaubert wie stets ihre Geschichte. Hausend in einem dunklen, denkbar unattraktiven Loch, dessen einziger Schmuck ein an der Seitenwand hoch applizierter Wolfskopf ist, womit sich wieder symbolische mit dem realen Raum überschneidet, weil auch dieser „Ring“ zuerst auf dem Theater spielt, hausend in einer unwirtlichen Atmosphäre, empfängt sie den ins Haus taumelnden Siegmund wie ihren „Erlöser“. Schön also, wie sich die Begegnung der beiden zart und knisternd erotisch – sagt man nicht so? – vollzieht: also zwischen der empfindsamen weiblichen und der zugleich heldischen wie lyrischen Stimme. Roman Payers. Payer bringt alles mit, um den jugendlichen Kämpfer stimmschön, groß und kontrolliert ins Bild zu setzen. Verkündet Brünnhilde ihm den Tod, wickelt sie ihn in ein schwarzes Tuch ein – der Wink mit dem Zaunpfahl, hin zu einer großen „Ring“-Inszenierung, ist überdeutlich, denn selbst die, die 1976 bis 1980 nicht das Glück hatten, eine Karte für den Chéreau-Ring-Zyklus zu ergattern, kennen die Inszenierung durch den Film: in dem immer noch und unvergesslich, Peter Hofmann von Gwyneth Jones, buchstäblich, so eingewickelt wird wie Payer durch Jäger. Ganz abgesehen vom (Foucaultschen) Pendel, das in Richard Peduzzis Walhall-Imagination und mit dem exzeptionellen Wotan namens Donald MacIntyre eine zugleich symbolische wie reale Bedeutung hatte, die von Alexander Müller-Elmau mit seinem Wotanschen Kugelpendel anzitiert wird. Nennen wir‘s: eine Hommage an die wohl berühmteste „Ring“-Inszenierung des 20. Jahrhunderts und deren Regisseur.

Wotan ist in Coburg, wie schon im „Rheingold“, Michael Lion. In der Höhe stets leicht gefährdet, arbeitet er sich mit größtem Anstand, mit interpretatorischer Genauigkeit und einer Fülle von nuancierenden Tönen durch die vielfältige, aber auch mörderische Partie, die einem Sänger am Abend alles und am Ende, nach den exzessiven Wutausbrüchen, noch die sensibelsten Töne abverlangt. Mit Lion hat dieser Ring eine „sichere Bank“, und auch hier gilt: Größere Häuser als Coburg könnten sich auch von dieser Besetzung eine Scheibe abschneiden – was schlussendlich auch für die genau artikulierende, spitzenscharf spielende Fricka der Kora Pavelić und den Hunding des Bartosz Araszkiewicz gilt. Bleiben die Walküren, allesamt kriegerische, uniforme Barbiepuppen, die die Regie mehrere Minuten lang, in einem wie von Hermann Nitsch zurückgelassenen, rötlich-weißen Farbschüttraum auf ihren Schaukeln szenisch verhungern lässt und sie dann doch noch ins sinnlose Gefecht mit dem Sturmgott zu schicken: bis auf die Knie. Das aber ist dann tatsächlich ziemlich gut, weil es die Beziehung zwischen dem Vater und seinen Töchtern so genau in eine Geste bringt, wie überhaupt die nachfolgende Begegnung zwischen Wotan und Brünnhilde delikat gezeigt wurde: mit Liebe zum Detail – und mit tiefem Verständnis für die Eigenheiten der Figuren: ihrem Stolz wie ihrer Trauer. Dies ist die wahre Stärke der Inszenierung: menschliche Befindlichkeiten verständnisvoll zu zeigen und die Schwächen der Figuren nicht zu denunzieren.

Also: Großer Beifall für einen in großen Teilen inszenatorisch gelungenen, bei den Statisten unbedingt nachbesserungswürdigen und musikalisch packenden Abend.

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