In Zeiten des wachsenden Interesses an der „Regionalität“ bei der Versorgung und an deren Nachhaltigkeit erleben viele traditionelle Lebensmittel ein richtiggehendes Revival. Auch die Kartoffel, lange Zeit in Streifen geschnitten und frittiert oder gekocht zur Beilage degradiert, erfreut sich aufgrund der schier unendlichen Sorten- und Geschmacksvielfalt immer größerer Beliebtheit. Parallel zum Aufkommen immer ausgefeilterer Zubereitungsarten wandert der Blick selbstverständlich zugleich in die Vergangenheit, wobei sich oft die ehemals preußischen Distrikte damit rühmen, den Siegeszug der tollen Knolle in Europa federführend vorangebracht zu haben. Immerhin, so die Erzählung, sei es niemand Geringeres gewesen als der große Friedrich, der durch seinen „Kartoffelbefehl“ den feldmäßigen Anbau der Pflanze reglementierte. In Wahrheit indes sind die „Erdäpfel“, wie sie ursprünglich hießen, Fränkinnen!
Das Jahr 1647 war bestimmt von den letzten Kämpfen des Dreißigjährigen Krieges, der das Markgraftum Brandenburg-Kulmbach-Bayreuth aufgrund seiner Lage zwischen den Zentren der Katholischen Liga und der Protestantischen Union zum gebeutelten Truppendurchzugsgebiet machte. Die Heere brachten Hunger und Leid über die Bevölkerung und schleppten in ihrem Tross schließlich gar den schwarzen Tod von Neuem in die ausgemergelte Landschaft, wodurch ihre Bevölkerung in vielen Fällen das Heil allein in der Flucht erkannte. Ein Jahr vor dem Westfälischen Frieden machte sich der Bauer Hans Rogler aus Pilgramsreuth bei Rehau schließlich auf nach Roßbach, um dort einen Markt zu besuchen.
Es ist nicht gesichert, doch dürfte seine Familie nicht gerade begeistert gewesen sein, als er anstelle bekannter Lebensmittel seltsame braune Brocken mit sich zurück ins Fränkische brachte, die er postwendend in den kargen Boden seines Ackers steckte. Innerhalb kurzer Zeit waren die Nachbarn, die „anfänglich solche Frucht verabscheuet und sich in deren Genießung der abscheulichsten Krankheiten besorget“ hatten, vom Ertrag und der Widerstandsfähigkeit der Erdäpfel überzeugt und bauten sie ebenfalls an.
In den folgenden Jahrzehnten breiteten sich die Feldfrüchte im ganzen Fürstentum aus, wobei es fast immer zu den gleichen Sorgen der Anwohner ob der Genießbarkeit kam. So wird berichtet, dass der Stockenrother Amtmann Andreas Mösch, der sich 1668 einige Knollen aus Pilgramsreuth kommen ließ und sie in seinem Garten anpflanzte, mit wüstesten Beschimpfungen der Sparnecker Bauern herumärgern musste. Sie waren eines Nachts über den Zaun gestiegen, um die vermeintlichen Früchte von den seltsamen Pflanzen abzupflücken und lagen anschließend für mehrere Tage darnieder. Erst Möschs Demonstration auf dem Marktplatz, wo er vor aller Augen in eine frisch gekochte Knolle biss, überzeugte die Menschen davon, dass es sich nicht etwa um die vermuteten „Teufelsäpfel“ handelte, sondern ganz im Gegenteil um ein Gottesgeschenk, das in den folgenden Jahren „die tägliche Kost des Landmannes“ wurde, wie Markgraf Friedrich von Bayreuth es im 18. Jahrhundert ausdrückte.
Der Siegeszug der „Erpfl“, wie die erfindungsreichen Franken die Knolle zwischenzeitlich aus Zeitgründen abkürzten, führte jedoch auch zu Problemen: Schon Ende des 17. Jahrhunderts hatte sich der Pilgramsreuther Pfarrherr Johann Matthäus Keppel über ausbleibende Pfründe beschwert, da die Bauern seines Dorfes meinten, auf die neuentdeckten Knollen keinerlei Abgaben bezahlen zu müssen und auch in anderen Teilen des Fürstentums kamen immer wieder Probleme auf, was die Besteuerung der neuartigen Pflanzen betraf und richtiggehende „Kartoffelkriege“ auslöste. Die verleiteten Markgraf Friedrich dazu, im Jahre 1746 für geregelte Zustände zu sorgen und ein Dekret zu erlassen, in dem er einerseits die Steuern endgültig festsetzte, andererseits aber auch zum Anbau der Erdäpfel aufrief, um die Landbevölkerung zuverlässiger ernähren zu können. Ob der alte Fritz, immerhin ein Schwager Friedrichs, sich bei seinem weitaus berühmteren Kartoffelbefehl am Beispiel des Anverwandten orientierte, ist reine Spekulation, aber auf jeden Fall wahrscheinlich.
Es waren also die Franken, genauer gesagt die Bewohner des Fürstentums Bayreuth, die die Kartoffel 1647 erstmals anbauten und zugleich für ihre Verbreitung sorgten. Diese spannende Geschichte sollte man sich, sobald man das nächste Mal „Glies“, „eigschnittna Erpfl“ oder „Erpflsolod“ genießt, durchaus auf der Zunge zergehen lassen.