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Die Persönlichkeit der Sänger

Klassische MusikDie Persönlichkeit der Sänger

Glück mit Monteverdi: Rolando Villazón und L‘Arpeggiata im Markgräflichen Opernhaus

Die Sache ist schon witzig: da engagiert man einen Superstar – und bekommt automatisch eine Musik und Werke geliefert, die man sich ansonsten kaum zu Gemüte führen würde, im Allgemeinen auch kaum mit dem Sänger verbinden würde, es sei denn, man weiss, dass der bekannte Mann das Repertoire bereits vor 15 Jahren sang, als er in gänzlich anderen Rollen weltberühmt wurde. Die Mitglieder der Bayreuther Musikveranstaltungsgesellschaft Kulturfreunde Bayreuth e.V. werden ansonsten selten mit 400 Jahre alter (und doch jung gebliebener) Musik konfrontiert, gehen auch sonst mehrheitlich nicht in das Festival Bayreuth Baroque. Wenn jedoch ein Rolando Villazón im Markgräflichen Opernhaus eingeladen wird, um Monteverdi zu singen, darf man unversehens den Orfeo und das Combatimmento di Tancredi und Clorinda, also ein Madrigal, hören, das mit dem sonstigen Programm der Kulturfreunde, das nur selten in die Renaissance zurück geht, wenig zu tun hat, was mich daran erinnert, dass vor einigen Jahren hier auch einmal die Marienvesper möglich war.

Gut also, dass man nicht allein den Sänger, sondern auch das Ensemble L‘Arpeggiata unter der Leitung Christina Pluhars ins Haus holte. So spielen sie den Orfeo in einer Kurzfassung, nein: sie performen die Arien des Sängers – und den Auftritt der messagiera, die dem thrakischen Heros die Mitteilung zu überbringen hat, dass seine geliebte Euridice, mit der er gerade noch das Leben feierte, das Zeitliche gesegnet hat. Um die auf den Hauptsänger zugeschnittene Musikauswahl anzureichern, hat die Dramaturgie den fünf Szenen weitere Werke eingegliedert – Opera von durchwegs bedeutenden Meistern, die inzwischen, dank der „Alte-Musik-Bewegung“ (merke: Es gibt keine „alte“ Musik), wieder einen guten Klang haben: von Emilio de Cavalieri (der Abend beginnt mit einer seiner sinfonie), Tarquinio Merula, dem wunderbaren Giulio Caccini (wir hören nicht dessen zauberhaftes „Dolcissimo sospiri“, sondern aus seiner Euridice-Oper Al canto, al ballo in einer Instrumentalfassung), Giorgio Allegri (Canario), eine Arie aus Antonio Sartorios Orfeo (Orfeo, tu dormi?) und schliesslich, als Finale der 70-Minuten-Oper, Pietro Andra Zanis Dormite, o pupille. Was gleichsam den musikalischen Vogel – nein, nicht abschiesst, sondern auf vielfältige Weise krönt, ist ein Lied eines Komponisten, der im Programmheft als Anonymus ausgegeben wird. Tatsächlich wurde Homo fugit velut umbra von Stefano Landi komponiert. Mit ihm beginnt der Vokalteil des Abends, schon mit ihm begreifen wir, dass die Lieder der Vergangenheit, wenn sie so interpretiert werden wie von L‘Arpeggiata und ihren Solisten, keinen anderen Ausdruck haben als die canti und Chansons des 20. Jahrhunderts und noch der Gegenwart. Am Ende werden Villazón, Cyril Auvity, Benedetta Mazzucata und Céline Scheen (die Euridice des Abends) den hinreissenden Renaissance-Schlager noch zu viert bringen.

Der Mensch vergeht gleich einem Schatten? Mag sein, aber vorher hat er beispielsweise einen von vielen möglichen Orfeos zusammengestellt, als wär‘s ein Pasticcio aus Monteverdis Ära. Dies funktioniert schon deshalb gut, weil 1. in seinen eigenen Bühnenwerken gelegentlich Fremdanteile hörbar sind (wie das Schlussduett der Incoronazione di Poppea) und 2. die Zeitgenossen, siehe oben, gleichfalls schönste und modernste Musik produziert haben. Sie aber bedarf der Ausdeutung durch die Musiker, denn die Notation der Monteverdi-Zeit bot zwar die Meldoien und die harmonischen Grundlagen, aber nicht die Details der Instrumentalbegleitung und -auszierung. Hier betätigt sich das Ensemble als fantasievolles Team von Spezialisten; hingewiesen sei nur auf den Trompetenklang des agilen Zink, die Künste der Theorbistin und Leiterin Christina Pluhar und des zweiten Theorbisten, nicht zuletzt auf die einschmeichelnden Töne der Lira di Gamba und der zirpenden Einsätze der Barockharfe und des Cymbals, was dem Gesamtklang eine Exotik verleiht, die den gewohnten Renaissance-Klang leicht verfremdet und zugleich erweitert: passend nicht allein zum Rausschmeißer Stefano Landis, in dem sich der feste Rhythmus und die Melodie derart verschwistern, dass unversehens ein Ohrwurm hängen bleibt.

Weiteres wird von den Tänzern gestiftet. Um der Geschichte Orfeos und Euridices so etwas wie eine äußerlich sichtbare Handlung zu verpassen, genügt offensichtlich nicht allein die deutliche Gestik der Solisten; in weiteren Einsatz kommt eine Frau, Andressa Miyazato, die auch den Tauben, denen die ausdrucksstarke und tief emotionale Musik nicht genügt, die storia im Stil eines populäern Ausdruckstanzes vor die Augen führt. Im Combatimmento dürfen dann zwei Pantomimen den Kampf der Geschlechter ausbuchstabieren. Der Kampf des Tankred mit Clorinda wird gelegentlich – legitimiert durch Monteverdis eigene Aussage, dass dieses Madrigal zum darstellenden Genre gehöre – gesungen und getanzt; hier agieren, bewusst ähnlich reinweiß gekleidet und behütet, B. und M. Bendoni (Vornamen unbekannt), um das Erzählte/Gesungene als halbabstrakte performance zu zeigen. Das ist naheliegend und sinnvoll, wo die Historie des christlichen Kämpfers und seiner sich als Mann verkleideten Freundin, die zugleich die „heidnische“ Feindin des geliebten Feinds ist und sich im Sterben von ihm taufen lässt, aufgrund ihrer dialogisierten und musikdramatisch aufgeladenen Erzählweise nach dem bewegten Bild geradezu ruft.

War auch das Engagement Rolando Villazóns naheliegend? Zugegeben: er singt seinen Monteverdi wie der hispanisch timbrierte Puccini-Tenor, der er eben ist. Er tut es mit Inbrunst, vokaler Stärke und differenziertem Ton. Er ist der freund- und leidvolle Sänger, er bietet uns auch szenisch den ganzen Orfeo (wenn er sein Jubellied anstimmt, die Todesnachricht erhält und niedersinkt) und beweist nebenbei, dass das totale Theater und sogar die Oper auf der leeren Bühne verwirklicht werden können. Es ist nicht die Dekoration, sondern allein die Persönlichkeit des Sängers / Schauspielers, die das Drama macht – in diesem Sinne muss auch Céline Scheen gelobt werden, die in der sehr trockenen Akustik des Hauses ihren Sopran unprätentiös durch den Abend führt. Unprätentiös ist auch Villazón selbst. Im Quartett und neben L‘Arpeggiata mag er, rein starmäßig betrachtet, der Primus sein, doch als Vollprofi tritt er zugunsten des Wesentlichen: der Werke Monteverdis und seiner großartigen Zeitgenossen, an den richtigen Platz. Als nicht einzeln, sondern vor den Musikern stehender, also integrierter Erzähler tut er im halbepischen Madrigal nichts Anderes als dass, was ein guter Erzähler eben tun soll, denn wie er die sensuellen Stanzen Torquato Tassos mit ihren Reflexionen über die merkwürdigen Bewegungen der Seelen aussingt und im Kontrast das blutige und unritterliche Duell der beiden Gegner stimmlich in die jeweilige Tonlage bringt, ist authentisch, auch wenn wir bei der Interpretation der Musik des 17. Jahrhunderts inzwischen andere Stimmcharaktere gewöhnt sind. Großer Beifall also für einen mit 90 Minuten zwar relativ kurzen, aber, wohl nicht allein für den sog. Spezialisten, spannenden Abend.

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