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Die Chamberlain-Bibliothek

BibliothekenDie Chamberlain-Bibliothek

Erst im März war von ihr wieder die Rede: sogar mit Foto, doch die Umstände, in denen sie wieder an die Öffentlichkeit gebracht wurde, waren wenig angenehm. Ein Wasserschaden versehrte rund ein Drittel der Bücher in einem Lagerraum des Untergeschosses des Richard-Wagner-Museums, aber der Schaden, so Sven Friedrich, der Hüter dieses Schatzes, sei umkehrbar.

Sie: das ist die einstige Bibliothek Houston Stewart Chamberlains, der als Schwiegersohn Richard Wagners und Verfasser der Grundlagen des XIX. Jahrhunderts, eines ehemaligen, heute nur noch Experten bekannten Bestsellers, unsterblich wurde. Chamberlain ist heute als „Ideologe“ verrufen seine Büchersammlung aber repräsentiert, die bis 2017 im neben dem Haus Wahnfried gelegenen Chamberlain-Hauses ihren originalen Aufstellungsort hatte, eine typische, große und vor allem erstaunlich breitgefächerte Gelehrtenbibliothek des 19. Jahrhunderts, von der heutige Wissenschaftler nur träumen können. Chamberlains „Buchgaden“, seine sorgfältig zusammengestellte Literatursammlung, umfasst satte 12.000 Bände aus so ziemlich allen Wissensbereichen. Der fleißige Autor war nachweislich ein emsiger Leser, was viele Lesespuren in den Bänden selbst belegen. Chamberlain war nur in dem Sinne ein „Dilettant“, als er sich für Fachbereiche interessierte, die nicht auf die reinen Natur- oder Geisteswissenschaften beschränkt waren. Der Gelehrte kam zwar von ersteren her, wurde aber auf dem Gebiet der Kulturwissenschaften und -kritik bekannt, die er immer auch als Biologe betrachtete. Der Autor von Büchern über Wagner, Kant und Goethe besaß nicht allein die Werkausgaben dieser und vieler anderer Klassiker, sondern auch wichtige Sekundärliteratur: in Sachen Philosophie (bis Hegel) und Literatur, Sozial- und Wirtschaftswissenschaften (Qualität ging hier vor Quantität), Religion und Theologie, antiker und neuzeitlicher Dichtung (immer in den Ursprachen, die der sprachlich hochbegabte Leser verstehen konnte) und Geschichte (international orientiert). Der Naturwissenschaftler konnte jederzeit zu Werken über Bakteriologie und Chemie greifen, der an Geographie Interessierte zu Büchern zur Länderkunde, der Forscher zu Untersuchungen über Geologie, Mathematik, Geometrie, Meeres- und Gesteinskunde und Zoologie – dies sind nur einige wenige Fachbereiche, für die sich Chamberlain begeisterte. Einen gewichtigen Anteil nimmt schließlich die Sammlung zu den Themengebieten Religion und Religionswissenschaft ein. Es verwundert nicht, brauchte Chamberlain doch gerade diese Werke, um seine bedenklichen Thesen bezüglich der Menschheitsentwicklung und des geistigen Gehalts seiner Geistesheroen zu fundamentieren.

Wie immer man also auf die vergessenen Schriften des Autors schauen mag, die ihm den Ruf eines unverbesserlichen Reaktionär verschafften: seine Bibliothek ist ein wahrer Thesaurus des Wissens, zudem im Einzelnen so schön und geschmackvoll eingebunden, wie wir es von gepflegten Gelehrtenbibliotheken des späten 19. Jahrhunderts kennen. Wie Sven Friedrich ganz richtig sagte: „Es wäre am schönsten, wenn sie wieder ihren angestammten Platz einnehmen könnte“.

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