Die letzten Jahre des 18. Jahrhunderts stellen in der europäischen Geschichte tiefe Einschnitte dar, die teils bis heute Auswirkungen auf die Politik haben. Ausgehend von der Französischen Revolution und dem damit einhergehenden Untergang des Absolutismus, war ein Zeitenwechsel angebrochen, dem sich nur wenige entgegenzustellen wagten. Was jedoch aus dem anfänglich stolz aus allen Kehlen gesungenen „Vive La Republique“ geworden war, steht auf einem anderen Blatt: Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit hatten die Anführer des Aufstandes dem Volk versprochen – und ihnen Terror, Angst und Gewalt gebracht. Aus der Asche des anfangs umjubelten Umsturzes erhob sich schließlich ein Korse als neuer Führer einer Weltmacht: Napoleon Bonaparte. Er sollte es sein, der – als angeblich „Größter Feldherr aller Zeiten“ – Europa mit einem umfassenden Krieg überzog, der auch vor unserer Region nicht Halt machte.
Abgesehen von Napoleons Ausgreifen über den Rhein war das Fürstentum Brandburg-Kulmbach-Bayreuth (seit 1769 durch Ansbach ergänzt) ebenfalls an einem Wendepunkt seiner Geschichte angekommen. Schon lange hatten die preußischen Zollern versucht, die Anverwand-ten in den fränkischen Territorien zu einer Übergabe der Region zu bringen, was ihnen jedoch nicht gelungen war. Mit dem Amtsantritt des letzten Markgrafen, Karl Alexander, sollte sich das ändern: Insbesondere durch die Ausgaben seiner indirekten Vorgängerin Wilhelmine sah er sich dem drohenden Staatsbankrott gegenüber und suchte, einen Ausweg in umfassenden Sparmaßnahmen und Reformen zu finden, was jedoch nicht funktionieren wollte. Ein neuerliches Angebot der preußischen Verwandtschaft, die ihm eine nicht geringe Leibrente in Aussicht stellten und dafür anboten, das verschuldete Fürstentum zu übernehmen, schien da gerade recht zu kommen. Am 16. Januar1791 erfolgte schließlich die Übergabe an das Königreich, das kurz darauf mit Karl Freiherr von Hardenberg einen fähigen Staatsmann entsandte, um den maroden Haushalt auf Vordermann zu bringen. Ihm ist der Weg des nach wie vor mittelalterlich geprägten Fürstentums hin zu einem prämodernen Staat zu verdanken, der sich jedoch schon bald ernsten Bedrohungen von außen gegenübersah. Mit Vorsicht schielte man nach Frankreich, wo zu jener Zeit die Feuer der Revolution höher brannten, als je zuvor, und fürchtete gar, ein kleiner Funke könnte auch im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation genügen, um das Pulverfass zu zünden. Im Fürstentum Bayreuth gab man schließlich am 30. April 1794 die Anweisung an alle Beamten heraus, auf französische Agenten zu achten, von denen man glaubte, sie würden absichtlich die billigen Lebensmittel aufkaufen, um mit der daraus entstehenden Unzufriedenheit den Umsturz zu provozieren. Stolz präsentierte man sich indes an den Straßen durch die Region, an denen ab 1796 Tafeln mit der Aufschrift „Territorium Borussium“ vom Landesherren zeugten. Insofern stemmte man sich anfangs erfolgreich gegen die Ausuferungen aus der neuen Republique jenseits der Grenze.
All das jedoch änderte sich im frühen 19. Jahrhundert, als ein Schreckgespenst durch die Landen zu streifen begann, von dem niemand mit Sicherheit zu sagen wusste, ob es der erhoffte Befreier von allzu großer Abgabenlast, oder der neue Unterdrücker sei: Napoleon. Nachdem König Friedrich Wilhelm III. noch am 6. August 1806 die Mobilmachung gegen Frankreich anberaumt hatte, um ein Ausgreifen des mächtig gewordenen Nachbarn zu verhindern, ging im Fürstentum die Mär, die stolzen Preußen wollten sich kampflos ergeben. Ein „Aufruf an die braven Bayreuther“, der sich an alle Bewohner der Region richtete, sollte Klarheit schaffen:
„Bayreuth ist also nicht verkauft, wenn auch des Königs Soldaten aus dem Lande verreisen. […] Fluch dem, der ein anderes glaubt! Schande und Verderben über die, welche jetzt ihr Va-terland, die Fahne verlassen, um erst abzuwarten, was geschieht! […] Der Brave vertraut Gott und seinem Könige! Nicht wert seid Ihr Bayreuther, preußisch zu sein, so Ihr nicht fest ver-trauet, es immer zu bleiben! Rufet alle froh und mutig: wir bleiben preußisch mit Blut und Gut!“
Diesem Aufruf an die patriotischen Bewohner des Fürstentums folgte im Laufe der zweiten Jahreshälfte der komplette Rückzug aller preußischen Truppen hinter die Grenze und damit die kampflose Überlassung Bayreuths, wohin am 7. Oktober 1806 die Franzosen unter Marschall Soult vorrückten. Was daraufhin folgte, war der Kontakt der einfachen Bevölkerung mit dem schwelenden Krieg, der sie in ein Chaos stürzte, das die alten Ständeunterschiede und Ordnungen wieder hervorbrechen ließ. Ein Augenzeugenbericht aus Münchberg gibt bis heute beredtes Beispiel der Abläufe:
Der 6. October gedachten Jahres war für Münchberg ein Tag des Schreckens und der Angst. An demselben […] überzogen ganz unerwartet die ersten Franzosen diese Stadt. […] Mit dem Säbel im Munde und Pistolen in der Hand sprengte der Vortrab – aus reitenden Jägern bestehend – herein und vernichtete sogleich alle Zeichen der preußischen Herrschaft, welche sich hier vorfanden. […] Während […][der Nacht] campirte (sic!) der Marschall Soult mit ungefähr 40.000 Mann in der Stadt und Umgegend. Die Häuser und Straßen der Stadt – alles war mit Soldaten angefüllt, und vom Lager in der Umgebung brachen dieselben auch haufenweise herein, plünderten viele Häuser aus und mißhandelten die Bewohner. Das Vieh wurde von den umliegenden Dörfern heerdenweise (sic!) ins Lager getrieben und abgeschlachtet, so wie auch die übrigen Lebensmittel aus der Stadt und den Dörfern herbeigeschafft wurden.
Die gigantischen Heeresaufgebote Napoleons stellten allen voran aufgrund der daraus resultierenden Versorgungslage ein großes Problem für die Zivilbevölkerung des Fichtelgebirges dar: Um schneller marschieren zu können, hatte der Kaiser auf die Einrichtung von Magazinen verzichtet und an ihrer statt Requisitionen eingeführt. Die vorgebrachten Erinnerungen können daher auch anhand der im Stadtarchiv Münchberg lagernden Einquartierungsbillets und entsprechender Zusammenfassungen der durch Abgaben entstandenen Schäden nachvollzogen werden. So musste allein der Kaufmann Hieronymus Bretting Wein und Schnaps im Wert von 180 Gulden, Tabak für 50 Gulden und Champagner, Wein, Kaffee und Schokolade für 482 Gulden an die Offiziere liefern. Johann Reichel indes gab zu Protokoll, dass er 60 Bouteillen Rheinwein, 30 Flaschen Burgunder, 12 Flaschen Champagner und 45 Liter Branntwein an Marschall Soult und seine Apanage abzugeben hatte. Alles in allem lagerten gemäß der Zusammenstellung des Amtsmannes Dietsch in der Zeit vom 12. Oktober bis zum 31. Dezember 1806 12.207 Soldaten in Münchberg, darunter 20 Generäle, 299 Offiziere, 995 Unteroffiziere und 10.893 Gemeine. Doch nicht allein die materiellen Abgaben machten zu schaffen, auch die vom Fürstentum verlangten Zahlungen in Höhe von 2,5 Millionen Francs, die man auf die Steuerzahler umzulegen trachtete, zehrten an den eisernen Reserven. Was auf die Schrecknisse dieser ersten Jahre folgte, war eine Zeit des kompletten Umsturzes: Die Region unter der harten Verwaltung des Brigadegenerals Etienne Le Grand de Mercey fand sich am Scheideweg und es galt zu entscheiden, ob man die Scherben des Alten wieder zusammensetzen, oder das umgepflügte Feld neu bestellen sollte. Man entschied sich für letzteres und als schließlich 1810 die Übergabe des ehemaligen Fürstentums an das neugeschaffene Königreich Bayern vollzogen wurde, war endgültig eine neue Zeitrechnung angebrochen – am Anfang aber stand, wie schon Nipperdey richtig schrieb, Napoleon.