Interessant genug – und nachweisbar schön. Cornelia Oelweins Buch über die Kandidatinnen der Schönheitengalerie Ludwigs I.
Im Mai 1845 trat ein „Frl. Katharina Elisabetha Esther Mathilde Panzer, Oberbaurathstochter von hier“ im protestantischen Pfarramt mit dem königlichen Rechnungs-Kommissär Eduard Zottmann in München vor den Traualtar. 1818 hatte sich Fürst Paul III. Anton Esterházy de Galantha, der Mann einer geborenen Fürstin von Thurn und Taxis, doch nicht der Vater von deren Tochter Emilie, in der Stadt aufgehalten, aus der Herr Zottmann stammen sollte.

Man findet diese für die Bayreuther Geschichtsschreibung sicher unbedeutenden, in anderem Zusammenhang jedoch spannenden Informationen in einem Buch, das die Ergebnisse einer eigentümlichen wie spannenden, am Ende auch lohnenden Spurensuche enthält und pünktlich zum 200. Jahrestag der Thronbesteigung des (die Bayreuther überlesen bitte diesen Satz) bedeutendsten bayerischen Königs erschien. Dass eine Gesellschafterin der berüchtigten Lola Montez in Bayreuth aufwuchs und eine Dame aus der gleichsam kanonischen Schönheitengalerie (wie sie inzwischen heißt) in Münchberg ihre ersten Lebensjahre verbrachte: diese oberfränkischen Informationen werden nun ergänzt durch Details, die allein jene beauties betreffen, die nicht das Glück hatten, von König Ludwig I. an die Wände des Festsaalbaus der Münchner Residenz in effigie verpflanzt zu werden. Denn Cornelia Oelwein, die bereits das Buch zu den 36 Frauen vorlegte, die in der einst „Schönheitsgalerie“ genannten Prunkreihe hängen bzw. hingen (ein Bild kam im 20. Jahrhundert abhanden), hat sich nun, in vergleichbarer Tiefe und Gründlichkeit, all jenen „Kandidatinnen“ gewidmet, die irgendwann einmal vom Hauptmaler Joseph Stieler und vom König selbst gelistet, ja: sogar gelegentlich gemalt wurden, doch aus den verschiedensten Gründen nie einen Platz in der Galerie fanden. So kam sie auf gut 20 Namen und Biographien, ohne alle Damen dingfest machen zu können, doch was sich in den 19 Kapiteln und einem Sonderkapitel über ein Phantom, die vermeintliche Gräfin Rambaldi, auftut, ist nichts weniger als eine Kulturgeschichte, die, meist von München ausgehend, über Standesgrenzen hinweg ein Bild des 19. Jahrhunderts zeichnet, wie es schöner und facettenreicher nicht sein könnte. Ihren Auftritt haben Schauspielerinnen, Opern- und Konzertsängerinnen, Kaufmannstöchter, Adlige, berühmte und im Dunkel der Geschichte verschwundene No-Names. Da die Biographin sich jedoch nicht allein auf die Suche nach den Frauen selbst, sondern auch nach ihrem Umfeld, ihren Familien, ihren Vorfahren und Nachkommen gemacht hat, die sie mit geradezu archäologischer Geduld in den zeitgenössischen Akten, Zeitungen (wie der Baireuther Zeitung), Matrikeln und Todesanzeigen fand, haben selbst jene Frauen, über die wenig mehr bekannt ist als dass sie geboren wurden, heirateten, Kinder bekamen und starben, ihre Auftritte. Über Viele konnte Cornelia Oelwein jedoch Erstaunliches herausfinden. Hier die skandalumwitterten Künstlerinnen wie die schillernde Bühnendiva Katharina Sigl-Vespermann, die den König lange um den Finger wickelte, dort die Tochter des erfolgreichen und klugen Münchner Kaufmanns und Politikers Rosipol. Hier die ihrem Geliebten, König Wilhelm I. von Württemberg, treue und äußerst beliebte Schauspielerin Amalie von Stubenrauch, dort die wahrlich schöne Pauline Hanfstaengl, deren Nachname vor Allem durch die männlichen Familienmitglieder bekannt blieb. Hier die bittere Krankengeschichte der früh verstorbenen Regina Lang, dort die Tochter aus dem Hause Boitel, einst eine der ersten Restaurationen in der Vergnügungshauptstadt München. Hier die Damen, die von Stieler oder anderen Malern verewigt wurden, dort die Unporträtierten, die kaum rekonstruierbare Leben lebten und oft nur durch die Existenz ihrer Eltern, Männer oder Nachkommen bezeugt sind – doch auch diese Informationen gehören in das Panorama, das am Ende in Nizza landet. Ludwig I. verbrachte einige seiner letzten Jahre an der Cote d’Azur, wo er auch starb; hier traf er mit Nathalia Dubelt auf eine Tochter Alexander Puschkins, deren Biographie im Äußeren wie im Inneren einem russischen Roman würdig wäre.
Ganz anders sah es bei Emilie Hartmann aus, deren falscher Vater 1818 nach Bayreuth reiste. Sie war gewiss keine Repräsentantin einer strahlenden Kulturgeschichte, sondern hatte eine erschütternde Jugend. Auch und gerade diese Historie, die von der Autorin ausgegraben wurde, gehört zu den „kleinen“ Geschichten hinter der Geschichte, die man „groß“ zu nennen pflegt. Schade, dass man Emilie Hartmann nicht gemalt hat – doch schön, dass auch sie nun eine Autorin gefunden hat, die die Kunst der genauen Zeichnung, hier wie bei den Damen der deutschen und französischen, englischen und russischen Society, souverän beherrscht. Nicht schön genug? Auf jeden Fall meistens interessant genug, um innere Bilder zu erzeugen, wenn keine gemalten vorliegen; mein Favorit wäre übrigens, wenn es nicht die von M.I. Kosmich konterfeite Natalia Dubelt, geb. Puschkin, wäre, die schöne Opernsängerin Adelaide Schiasetti. Man kann ihr auf Seite 195 in das Auge schauen – ein Blick, der für etliche trockene Daten entschädigt, die zumal bei den fast unbekannten Kandidatinnen für deren Persönlichkeiten und Gschichterln und Geschichten geradestehen müssen. Doch auch diese Strecken gehören zu den Informationen, die, zusammengenommen, erst die (Kultur-)Geschichte ergeben. Oder, wie Cornelia Oelwein selbst bemerkt: „Ihre Lebensgeschichten geben jedoch einen schönen Einblick in die bürgerliche Gesellschaft, in denen sich der Maler ebenso wie die meisten der von ihm vorgeschlagenen Damen bewegen“: gelegentlich auch in Bayreuth.
Cornelia Oelwein: Nicht schön genug? Kandidatinnen für die Schönheitengalerie König Ludwigs I. 336 Seiten, 11 farbige Abbildungen. Volk Verlag, München 2024. 25 Euro.
Frank Piontek